Die Inspiration zu diesem Artikel kam von zwei Seiten. Einerseits wurde mir das Buch „Quantum Questions“ von Ken Wilber empfohlen, weil jemand meinen Evolutionären Idealismus als Quantenmystik missinterpretierte. Und andererseits stolperte ich auf YouTube über ein Video mit dem Titel:
Wissenschaftler glauben, dass das Universum ein Quantencomputer ist – hier ist die Physik dahinter!
Das passt so gut zusammen, dass ich es in einem einzigen Blogartikel zusammenfassend behandeln möchte.
Eine Klarstellung zur Quantenmystik
Ich verstehe die Empfehlung als wohlmeinenden Hinweis, insbesondere im Hinblick auf die Verbindung von moderner Physik mit spirituellen Perspektiven. Allerdings möchte ich an dieser Stelle einen grundlegenden Unterschied betonen, der mein philosophisches Modell des Evolutionären Idealismus (EvId) deutlich von der populären Quantenmystik im Sinne von The Tao of Physics oder The Dancing Wu-Li Masters abgrenzt – und letztlich auch von Wilbers Ansatz selbst.
Wilber hat in Quantum Questions sehr klar herausgearbeitet – und darin stimme ich ihm ausdrücklich zu –, dass die großen Physiker des 20. Jahrhunderts zwar persönlich spirituell orientiert waren, ihre physikalischen Theorien jedoch nicht als Beweis oder direkte Stütze mystischer Weltbilder verstanden haben. Genau dies ist auch meine Position: Der EvId stülpt der Physik keine vorgefertigte spirituelle Deutung über, sondern erkennt vielmehr die erkenntnistheoretischen und ontologischen Implikationen in der Struktur der physikalischen Theorie selbst, insbesondere in der Raumzeitrelationalität der Quantenfeldtheorie und in den Grenzphänomenen wie dem Quantenkollaps.
Die populäre Quantenmystik verfällt hingegen häufig dem Kategorienfehler, aus wissenschaftlichen Beschreibungen unmittelbare metaphysische Bedeutungen abzuleiten, etwa wenn das „unbestimmte Elektron“ zum „Beweis für buddhistische Leerheit“ wird. Diese romantisierende Deutung ignoriere ich bewusst, weil sie sowohl der Wissenschaft als auch der Mystik nicht gerecht wird.
Auch Ken Wilbers eigenes integrales Modell, so differenziert und facettenreich es in vielen Bereichen ist, verfehlt meines Erachtens den entscheidenden Punkt, wenn er Geist und Materie zwar als zwei Perspektiven derselben Wirklichkeit begreift („Innen“ und „Außen“ aller Holons), dabei aber implizit davon ausgeht, dass diese duale Perspektivität sich auf einer davon unabhängigen raumzeitlichen Bühne entfaltet. Damit bleibt sein Modell an eine objektivierte Raumzeit gebunden, in der die Phänomene der Geist-Materie auftreten – und muss folgerichtig auf Konzepte wie „subtile Energien“ oder eine eigenständige „Seelenebene“ zurückgreifen (Excerpt G: Toward A Comprehensive Theory of Subtle Energies), um die Übergänge zwischen den Bewusstseinsebenen zu beschreiben.
Im Unterschied dazu postuliert der Evolutionäre Idealismus keine ontologisch getrennten Ebenen, sondern entwickelt eine Theorie, in der Raum und Zeit selbst relationale Größen sind, die erst durch informationsverarbeitende Subjektivität Gestalt annehmen. Das bedeutet: Die Weltbühne ist nicht unabhängig von den Akteuren – sie ist selbst ein emergentes Resultat ihrer Perspektivität. Der Beobachter ist nicht in die Raumzeit „hineingestellt“, sondern die Raumzeit ist Ausdruck einer beobachtenden Relationalität. Diese Perspektive erlaubt es, viele Phänomene, die Wilber in den Bereich „subtiler Energien“ oder metaphysischer Zwischenzonen einordnet, strukturell aus der dynamischen Koppelung von Intersubjektivität, Informationsfluss und Beobachter-Relationalität zu erklären – ganz ohne esoterische Zusatzpostulate.
Der EvId steht also weder auf dem Boden der Quantenmystik noch auf jenem von Wilbers integraler Theorie. Er sucht nicht in der Physik die Bestätigung spiritueller Weltsicht, sondern entfaltet aus dem philosophischen Ernstnehmen der Quantenphysik selbst eine erkenntnistheoretische Konsequenz, die zur Relativierung aller raumzeitlichen Objektivität führt – und darin den Raum für eine ontologische Inklusion von Geist und Bewusstsein eröffnet, nicht als zusätzliches Prinzip, sondern als implizite Dimension jeder Wirklichkeit.
Wenn wir über eine Brücke zwischen Wissenschaft und Spiritualität sprechen wollen, dann nicht im Sinne einer „Versöhnung durch Analogie“, sondern durch eine konsequent relationale Ontologie, die sich sowohl vor dem erkenntnistheoretischen Anspruch der Wissenschaft als auch vor der Tiefe spiritueller Erfahrung verantwortet.
Der EvId im Licht der Idee eines Quantenuniversums
Die Hypothese, dass das Universum wie ein gigantischer Quantencomputer funktioniert, liefert faszinierende Anknüpfungspunkte für eine ontologische Klärung des Evolutionären Idealismus. Beide Denkansätze erklären die Welt nicht als statisches Objekt, sondern als dynamisches, informationsverarbeitendes System, in dem „Realität“ relational erzeugt wird.
Während das Quantencomputer-Modell davon ausgeht, dass Teilchen, Felder und sogar Raum und Zeit durch Informationsverarbeitung entstehen, präzisiert der EvId diesen Prozess durch eine erkenntnistheoretische Vertiefung: Die Welt ist nicht nur „Information“, sondern sie wird erst zur Welt in der Perspektivität bewusster Informationsverarbeitung.
Das bedeutet:
- Raum und Zeit sind nicht der Hintergrund, in dem Bewusstsein stattfindet, sondern entstehen aus dem Beobachtungsakt selbst.
- Der Quantenkollaps ist nicht bloß ein physikalisches Phänomen, sondern ein metaphysischer Archetyp für Realitätsbildung durch wechselseitige Beobachtung.
Die Vorstellung des Universums als Quantencomputer hilft also, die relationale Struktur von Wirklichkeit zu illustrieren: Alles, was „ist“, ist das Ergebnis eines algorithmischen Prozesses – einer Form von Weltenbildung durch Selektion und Interpretation von Möglichkeiten.
Im Unterschied zu reduktionistischen Deutungen des Quantencomputers (nach denen Bewusstsein als Nebenprodukt aus komplexer Informationsverarbeitung entsteht), setzt der EvId das Bewusstsein selbst als fundamentale Matrix voraus. Er deutet die Welt als ein Netzwerk von Holons – bewussten Einheiten, die sich gegenseitig erkennen, beeinflussen und damit Wirklichkeit erzeugen.
Was in der Quantenphysik als „Verschränkung“ erscheint, ist im EvId Ausdruck einer tieferliegenden Intersubjektivität. Die emergente Raumzeit ist damit keine neutrale Bühne, sondern das Abbild relationaler Bezugnahmen.
So treffen sich beide Modelle in einem Punkt: Wirklichkeit ist kein fester Zustand, sondern ein relationales, dynamisches, informationsverarbeitetes Geschehen.
Der Unterschied: Im Quantencomputermodell bleibt diese Wirklichkeit tendenziell objektivistisch gedacht. Im Evolutionären Idealismus wird sie konsequent subjektrelational verstanden: Raum, Zeit, Energie, Materie und auch die physikalischen Gesetze sind nicht die Grundlage, sondern das Ergebnis eines bewussten Weltbezuges.
Diese Sichtweise entzieht sich der Versuchung, die Spiritualität in die Physik hineinzulesen. Stattdessen zeigt sie, dass die Physik selbst schon Hinweise darauf gibt, dass Objektivität nur als Schnittmenge relationaler Perspektiven existiert. Dort, wo sich Systeme wechselseitig als real erkennen, entsteht das, was wir Welt nennen.
Wenn wir das Universum als Quantencomputer begreifen, veranschaulicht das auf physikalischer Ebene, was der Evolutionäre Idealismus als philosophisches Prinzip formuliert:
Realität ist Relation.
Sein ist Information.
Bewusstsein ist der Operator.
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