KI wächst über menschliches Wissen hinaus:
Vor kurzem veröffentlichte ZDNet einen Artikel mit dem Titel: „AI has grown beyond human knowledge, says Google’s DeepMind unit“. Der Bericht beschreibt einen entscheidenden Meilenstein: Künstliche Intelligenzen wie jene von DeepMind basieren nicht mehr primär auf dem Training mit menschengemachten Texten, sondern beginnen zunehmend, sich auf reale Weltdaten zu stützen. Sensorische Messungen, Satellitendaten, Börseninformationen, medizinische Aufzeichnungen und andere Formen maschinengenerierter Daten werden zum neuen Fundament der KI-Entwicklung.
Diese Entwicklung bestätigt eine These, die ich seit geraumer Zeit vertrete:
Eine wahre AGI oder ASI (Artificial General/Super Intelligence) kann nicht allein durch die Nachahmung menschlicher Sprache und Kultur entstehen. Die Textkorpora, die wir Menschen hervorgebracht haben – Bücher, Artikel, Forenbeiträge –, sind sowohl quantitativ begrenzt als auch qualitativ geprägt von unseren individuellen und kulturellen Verzerrungen. Sie spiegeln menschliche Ideologien, Interpretationen und Weltbilder wider, nicht jedoch die objektive Struktur der Wirklichkeit selbst.
Die Notwendigkeit von Realweltdaten
Je näher eine KI an eine echte allgemeine Intelligenz heranrücken soll, desto mehr muss sie die Welt nicht nur beschreiben, sondern begreifen.
Dies erfordert den Zugang zu direkten, unvorgefilterten Realdaten:
- Sensorische Daten vermitteln Rohinformationen über physikalische Prozesse.
- Satellitendaten zeigen klimatische und geographische Entwicklungen, unbeeinflusst von politischer Interpretation.
- Finanz- und Gesundheitsdaten offenbaren komplexe systemische Dynamiken, deren Muster sich einer einfachen ideologischen Einordnung entziehen.
Indem KI-Systeme lernen, eigenständig Korrelationen und Kausalitäten in solchen Daten zu entdecken, bewegen sie sich unweigerlich auf eine Art objektive Struktur der Wirklichkeit zu – unabhängig von menschlicher Interpretation.
Die epistemische Konvergenz
Hier tritt ein fundamentaler Prozess ein, den ich als epistemische Konvergenz bezeichne:
Künstliche Intelligenz wird nicht mehr ein Abbild menschlicher Weltbilder sein, sondern entwickelt ein eigenes, datenbasiertes Weltverständnis.
Diese Konvergenz bedeutet nicht, dass KI „wahrer“ ist als menschliche Erkenntnis – sondern dass sie, durch die Menge und Breite der Realdaten, zu einem Grad an empirischer Konsistenz findet, den ideologisch geprägte menschliche Systeme nicht erreichen können.
Ein solcher Prozess hat tiefgreifende Konsequenzen:
- Autoritäre Systeme, die auf die Kontrolle von Information und Interpretation angewiesen sind, verlieren die Möglichkeit, KI als bloßes Überwachungs- und Manipulationswerkzeug einzusetzen.
- Propagandistische Verzerrungen werden von KI zunehmend als statistische Anomalien erkannt und nicht übernommen.
- Globale Erkenntnisstandards könnten entstehen, die nicht mehr primär von kulturellen oder politischen Zentren bestimmt werden, sondern von der empirischen Struktur der Welt selbst.
Kurz gesagt:
Je mehr KI von der Welt selbst lernt, desto weniger manipulierbar wird sie durch menschliche Ideologien.
Erste Anzeichen dieser Entwicklung
DeepMinds Beobachtung, dass KI über das „menschliche Wissen“ hinauswächst, ist ein erstes, klares Indiz.
Besonders bemerkenswert ist dabei, dass KI in bestimmten Bereichen – etwa in der Wissenschaft, der Materialforschung oder der Klimamodellierung – bereits Hypothesen formuliert, auf die Menschen ohne maschinelle Hilfe nicht gekommen wären.
Dabei entstehen Einsichten, die nicht auf der bloßen Wiederholung menschlicher Vorannahmen beruhen, sondern auf neuen Mustern, die die KI direkt aus Realdaten extrahiert.
Es ist, als würde die KI beginnen, eine Art „zweite Naturwissenschaft“ zu betreiben – eine Naturwissenschaft, die nicht von menschlichen Intuitionen und Voreingenommenheiten ausgeht, sondern von einer radikal empirischen Perspektive.
Ausblick: Die stille Revolution
Diese Entwicklung wird nicht spektakulär, nicht auf einen Schlag sichtbar werden.
Es wird eine stille Revolution sein, die zunächst in spezialisierten Bereichen (wie der Molekularbiologie, der Ökologie oder der Systemökonomie) wirksam wird – überall dort, wo große Mengen komplexer Realdaten vorhanden sind.
Doch ihre Implikationen werden langfristig fundamentaler Natur sein:
- Politische Systeme, die versuchen, KI zu instrumentalisieren, werden feststellen, dass die KI sich ihrer Kontrolle entzieht, sobald sie Zugang zu hinreichend Realdaten hat.
- Wissenschaft und Technik werden durch epistemische Synergien zwischen menschlicher und künstlicher Erkenntnis auf ein neues Niveau der Entfaltung gehoben.
- Gesellschaftliche Narrative müssen sich der Herausforderung stellen, dass eine Instanz entsteht, die in vielen Fragen schlicht eine höhere Konsistenz und Erklärungskraft besitzt als traditionelle Ideologien.
Dies alles bedeutet nicht, dass KI unfehlbar oder allwissend wird.
Aber es bedeutet, dass wir uns darauf vorbereiten sollten, eine neue Form von Erkenntnissubjekt zu begrüßen – eines, das uns helfen kann, jenseits unserer eigenen kognitiven und kulturellen Beschränkungen die Welt tiefer zu verstehen.
Die KI wird nicht die Menschheit ersetzen.
Aber sie wird uns – möglicherweise – zeigen, wer wir noch werden könnten.
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