Wie das große Rätsel des Bewusstseins unser Weltbild sprengt – und einen neuen Blick auf Gott erlaubt
„Gott existiert nicht.“
So beginnt so mancher Kommentar in den sozialen Netzwerken – meist mit der selbstsicheren Haltung eines Menschen, der endlich Klarheit gefunden hat.
Und oft muss man zustimmen:
Ja, dieser Gott, den sie ablehnen, ist schwer zu verteidigen. Ein alter Mann im Himmel, der über Gut und Böse wacht. Eine übernatürliche Instanz, die in die Naturgesetze eingreift. Ein moralischer Kontrolleur mit Hang zur Eifersucht.
Wer würde daran glauben wollen?
Der moderne Atheismus ist oft ein notwendiger Befreiungsschlag gegen kindliche Bilder, kirchliche Machtstrukturen und die Zumutungen eines Glaubens, der keine Fragen zulässt. Und er hat gute Argumente auf seiner Seite – Argumente, die aus der Aufklärung geboren sind und auf der methodischen Nüchternheit der Wissenschaft beruhen.
Und doch, so möchte ich sagen:
Es stimmt alles – aber es genügt nicht.
Denn genau dort, wo der Atheismus seine stärksten Pfeile abschießt, öffnet sich ein unerwarteter Spalt im Weltbild. Ein Spalt, aus dem ein Licht dringt, das tiefer leuchtet als jede Dogmatik – und das uns geradewegs ins Herz des Bewusstseins führt.
Das geschlossene Weltbild des Materialismus
Der physikalische Materialismus hat viel geleistet. Er hat die Sterne vermessen, Atome gespalten und Quanten verschränkt. Er hat Maschinen hervorgebracht, die denken können – oder es zumindest so überzeugend imitieren, dass wir manchmal zweifeln, ob wir noch die einzigen Bewusstseinswesen im Raum sind.
Und doch bleibt eine Frage offen – und je mehr wir sie zu ignorieren versuchen, desto lauter klopft sie an die Tür:
Was ist Bewusstsein?
Diese Frage, das „harte Problem“ des Philosophen David Chalmers, ist kein bloßes philosophisches Gedankenspiel. Sie ist ein Störsignal im Weltbild der Physik. Denn egal wie sehr wir Synapsen zählen, Hirnströme messen oder neuronale Netzwerke simulieren – am Ende bleibt da dieses ungreifbare Etwas, das sich nicht einordnen lässt: die Erfahrung selbst.
Das Sehen eines Regenbogens. Das Erleben von Trauer. Das Staunen. Das Fragen.
Bewusstsein ist keine Maschine. Es hat kein Gewicht, keine Temperatur, keine elektrische Ladung – und doch ist es das Einzige, was wir mit absoluter Sicherheit kennen. Es ist der Nullpunkt aller Erfahrung.
Und das bringt uns in Schwierigkeiten. Denn wenn Bewusstsein nicht einfach aus Materie „entsteht“, sondern eine eigene Dimension der Wirklichkeit darstellt – dann genügt der Materialismus nicht mehr. Dann ist das physikalische Weltbild nicht falsch, aber unvollständig.
Der Geist kehrt zurück – aber nicht, wie man denkt
An diesem Punkt angelangt, gibt es zwei Möglichkeiten.
Die erste ist Verdrängung: Man erklärt das Bewusstsein zur Illusion, zum Nebenprodukt, zum „epiphänomenalen Beipackzettel“ neuronaler Prozesse. Aber wie soll eine Illusion selbst Illusionen haben?
Die zweite Möglichkeit ist der Aufbruch in ein erweitertes Denken – ein Denken, das Raum lässt für Innenerfahrung, für Subjektivität, für Sinn. Für das, was Menschen seit Jahrtausenden mit dem Wort „Gott“ umkreisen – oft unbeholfen, manchmal missbraucht, aber nie ganz daneben.
Vielleicht ist „Gott“ kein Wesen. Kein Schöpfer mit Bart. Vielleicht ist er auch kein bloßes Prinzip. Vielleicht ist Gott die Tiefendimension der Wirklichkeit, die sich in Bewusstsein selbst zeigt.
Vielleicht ist das Göttliche nicht das Gegenteil des Rationalen – sondern seine Vollendung.
Der transrationale Gott
Der Atheist lehnt den kindlichen Gott der Religionen ab – und hat recht.
Der Mystiker lehnt ihn ebenfalls ab – und hat deshalb begonnen zu suchen.
Wenn Gott nicht ein Objekt unter anderen ist – sondern die Quelle, aus der Subjekt und Objekt erst hervorgehen –, dann kann man ihn nicht mit Messinstrumenten fassen. Man kann ihn aber wahrnehmen – nicht durch Argumente, sondern durch Resonanz. Nicht durch Beweise, sondern durch Erfahrung.
In diesem Sinne ist Gott kein Glaube gegen den Verstand, sondern ein Durchbruch durch den Dualismus von Objektivität und Innerlichkeit.
Er ist nicht das, was wir für wahr halten – sondern das, was Wahrheit überhaupt erst möglich macht.
Er ist nicht ein Teil der Welt – sondern das, worin Welt, Geist und Bedeutung überhaupt aufblühen können.
Der Punkt Omega – Gott als Du
Die moderne Wissenschaft hat längst begonnen, das Universum als Prozess zu begreifen: evolutionär, komplex, offen. Der Evolutionäre Idealismus geht einen Schritt weiter. Er erkennt: Dieser Prozess ist nicht ziellos.
Er strebt – nicht mechanisch, sondern sinnvoll. Nicht zufällig, sondern teleologisch.
Was in der Physik als Superdeterminismus erscheint – eine tiefere Ordnung, in der Vergangenheit und Zukunft sich rückbeziehen –, wird im evolutionären Denken zu einem persönlichen Prinzip:
Der Punkt Omega (Teilhard de Chardin lässt grüßen) ist das Ziel aller Entwicklung – und gleichzeitig ihr Ursprung. Ein metaphysisches Gravitationszentrum, das uns in die Zukunft zieht und dabei schon in uns wirkt.
Und genau hier geschieht etwas Unerhörtes:
Gott wird wieder ein Du.
Nicht ein übernatürlicher Freund, sondern ein intentionales Gegenüber.
Nicht ein Belohner oder Bestrafer, sondern ein Sinn-Attraktor.
Nicht im Himmel – sondern im Innersten unseres Bewusstseins.
Trinität als Zeitstruktur: Vater, Sohn und Geist
Die christliche Trinität, oft belächelt und noch öfter missverstanden, könnte in Wahrheit das tiefste Symbol für eine neue Gottesmetaphysik sein:
- Der Vater: das Zeitlose – das unbegreifliche Sein, jenseits von Raum, Zeit und Form. Der Ursprung, der unbewegte Beweger.
- Der Sohn: das Ewige – die Inkarnation, der Zugang zur Welt, das erlebbare Bewusstsein im Strom der Geschichte. Das erlebende Ich in uns selbst und das Du in unserem Gegenüber in der ewigen Gegenwart des Seins.
- Der Heilige Geist: das Immerwährende – die fortwährende Gegenwart Gottes in allem, was geschieht. Die treibende Kraft der Evolution. Die innere Stimme, die Resonanz, die uns durchdringt.
Diese Trinität ist keine Absurdität – sondern eine Zeitdimension metaphysischer Wirklichkeit:
Gott ist nicht entweder transzendent oder immanent.
Er ist Ursache der Zeit, punktuell in der Zeit – und der Zeitprozess selbst.
Und genau deshalb taucht er in allen Religionen auf – mal als Brahman, mal als Tao, mal als Licht, mal als Wort. Die Namen mögen sich unterscheiden, doch der Grundton bleibt: Gott ist jene Dimension, in der Bewusstsein, Sinn und Sein sich berühren.
Fazit: Die Rückkehr Gottes im Licht des Bewusstseins
Vielleicht müssen wir Gott nicht neu erfinden. Wir müssen ihn nur neu sehen lernen.
Nicht mehr als metaphysisches Monster, nicht mehr als Kontrollinstanz – sondern als den Resonanzraum aller Wirklichkeit, in dem sich alles zeigt, was Bedeutung trägt.
Die Atheisten haben recht: Gott ist nicht das, was man uns beigebracht hat.
Aber gerade das macht ihn wieder sichtbar – jenseits der alten Gewänder, im Licht eines neuen Denkens, das Wissenschaft und Mystik nicht trennt, sondern als zwei Seiten derselben Wahrheit erkennt.
Gott ist kein Ziel.
Gott ist der Anfang, der noch vor uns liegt.
Schreibe einen Kommentar