Warum die Grünen politisch so wichtig sind –

und warum der Markt die Energiewende nicht allein schaffen wird

Stellen wir uns einen Patienten vor, der schwer krank ist – aber nicht, weil sein Körper versagt, sondern weil sein Lebensstil über Jahrzehnte hinweg die Krankheit herbeigeführt hat. Fossile Energieträger sind für unsere globale Wirtschaft genau das: ein jahrzehntelanges Erfolgsmodell, das nun zum Problem geworden ist.

Allein im Jahr 2025 wird der weltweite Markt für fossile Energien – also für Öl, Gas und Kohle – auf rund 8,32 Billionen US-Dollar geschätzt. Das sind 8,5 % der gesamten globalen Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Der Ölmarkt allein macht etwa 2,1 Billionen aus. Der gesamte Markt für die zehn wichtigsten Metalle kommt gerade einmal auf 987 Milliarden. Fossile Energie ist nicht nur ein Brennstoff – sie ist ein wirtschaftliches Fundament.

Doch dieses Fundament wankt.

Energieverschwendung im System

Jährlich verbraucht die Welt rund 180 Petawattstunden (PWh) Energie. Doch nur ein Bruchteil davon landet tatsächlich in nützlicher Form beim Endverbraucher – sei es in Form von Licht, Bewegung oder Wärme. Der Rest verpufft auf dem Weg: bei der Förderung, dem Transport, der Umwandlung oder schlicht durch Ineffizienz.

Wenn wir die Energie direkt dort erzeugen könnten, wo sie gebraucht wird – etwa durch lokale Solaranlagen oder Wärmepumpen – bliebe nur rund 40–45 % dieser Energie als tatsächlicher Bedarf übrig: etwa 72–81 PWh. Und auch diese ließen sich durch Effizienzgewinne (z. B. durch Wärmedämmung, Elektromobilität oder smarte Netze) nochmals deutlich senken – auf etwa 45–57 PWh. Das ist weniger als ein Drittel des heutigen Verbrauchs.

Die Vision ist also klar: Weniger Energieverbrauch, mehr Effizienz, lokale und erneuerbare Quellen. Warum also gelingt der Wandel nicht schneller?

Das Beharrungsvermögen des Fossilismus

Die fossile Industrie ist nicht nur ein Energiesystem – sie ist ein globales Machtgefüge. Fast die Hälfte der weltweiten Hochseeschifffahrt dient allein dem Transport von fossilen Brennstoffen. Das zeigt, wie tief fossile Logistik in die globale Infrastruktur eingebettet ist.

Hinzu kommt: Weltweit sind schätzungsweise 10 bis 15 Millionen Menschen direkt in der fossilen Industrie beschäftigt. Rechnet man indirekte Arbeitsplätze (Zulieferer, Logistik, Dienstleistungen) mit ein, steigt die Zahl auf bis zu 50 Millionen Menschen. In vielen Regionen – von der Lausitz bis Nigeria – ist Kohle, Öl oder Gas nicht nur Energiequelle, sondern Lebensgrundlage.

Ein schneller Wandel bedroht ganze Regionen, Staaten, ja politische Systeme. Saudi-Arabien, Kasachstan, Nigeria – sie alle hängen am Tropf der fossilen Exporte. Und Russland ist vielleicht das prominenteste Beispiel: Seine Staatseinnahmen hängen in hohem Maße von Gas- und Ölexporten ab. Die wirtschaftliche Abhängigkeit prägt auch seine Klimapolitik – oder besser: seine Vermeidung einer solchen. Russlands Strategie, den Klimawandel öffentlich zu relativieren oder zu leugnen, ist kein Zufall, sondern ein machtpolitischer Reflex. Ein globaler Ausstieg aus fossiler Energie würde die russische Wirtschaft schwer erschüttern – und das weiß man dort ganz genau.

Warum der Markt versagt

All das zeigt: Die Energiewende ist kein technisches Problem. Sie ist ein politisches und ökonomisches Projekt von historischem Ausmaß. Und genau hier kommt der entscheidende Punkt: Der Markt allein wird diese Transformation nicht leisten können.

Warum?

  • Subventionen und Fehlanreize: Noch immer werden fossile Energien weltweit massiv subventioniert. Der Erhalt der Arbeitsplätze gilt noch immer als wichtiger als die Vermeidung des Klimawandels. Die Fossilenindustrie fordert den Einsatz von Wasserstoff und E-Fuels, um ihre Strukturen zu erhalten und die Politik setzt Anreize, um dies durchzusetzen.
  • Soziale Verwerfungen: Der Strukturwandel bedeutet Arbeitsplatzverluste in fossilen Industrien. Ohne politische Begleitung – Umschulungen, soziale Absicherungen, Innovationen – entstehen Unsicherheiten und Widerstände.
  • Zielkonflikte: Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Preisstabilität, Wettbewerbsfähigkeit – diese vier Ziele stehen oft in Spannung zueinander, wobei kurzfristige Ziele ökonomisch oft als relevanter angesehen werden. Ohne politische Steuerung drohen deshalb langfristig Fehlentwicklungen.
  • Internationale Herausforderungen: Kein Land kann die Energiewende im Alleingang schaffen. Es braucht internationale Koordination, technologische Kooperation und faire Handelsbedingungen, um die Transformation weltweit sozialverträglich zu gestalten.

Warum die Grünen unverzichtbar sind

Und genau an diesem Punkt wird klar, warum die Grünen – trotz aller berechtigten Kritik im Detail – eine systemrelevante politische Kraft sind.

Sie sind die einzige große Partei in Deutschland, die die Dekarbonisierung nicht als Risiko, sondern als zentrale Zukunftsaufgabe begreift. Sie betonen nicht nur die ökologischen Notwendigkeiten, sondern auch die strukturellen Hindernisse und gesellschaftlichen Spannungen, die mit diesem Wandel einhergehen – und suchen politische Antworten darauf.

Sie vertreten eine Haltung, die in einem Satz zusammengefasst werden kann:

Die Energiewende ist zu wichtig, um sie dem Markt allein zu überlassen.

Ohne politische Leitplanken bleibt der Markt blind gegenüber sozialen Härten, regionalen Ungleichheiten und globalen Abhängigkeiten. Ohne politischen Mut bleibt die Energiepolitik ein Reparaturbetrieb. Und ohne eine klare Vision bleibt der Wandel Stückwerk.

Fazit: Politik als Hebel der Zukunft

Die globale Energiewende ist ein Wettlauf gegen die Zeit – und ein Kräftemessen mit alten Strukturen. Sie wird nicht nur neue Technologien hervorbringen, sondern auch neue Allianzen, neue Gerechtigkeitsfragen und neue Konfliktlinien.

Gerade deshalb braucht es Parteien, die das Ganze sehen – nicht nur die Technik, nicht nur die Wirtschaft, nicht nur die sozialen Aspekte, sondern das Zusammenspiel aller Kräfte. Parteien, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, Zielkonflikte auszuhalten und den Wandel aktiv zu gestalten.

Ob die Grünen dieser Verantwortung immer gerecht werden, mag man diskutieren. Doch dass ihre politische Rolle in der Energiewende unverzichtbar ist, dürfte außer Frage stehen.

Denn eines ist sicher: Der Markt allein wird es nicht richten. Aber kluge, mutige Politik könnte es.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Warum die Grünen politisch so wichtig sind –“

  1. Avatar von Matthias Glage
    Matthias Glage

    Auch fuer diesen Text herzlichen Dank – und das nicht nur als Gruener! Die Transformation geht uns alle an wie auch der anthropogene Klimawandel und die soziale Schere.

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