Sind wir wirklich zu viele?

Immer wenn ich einen Marienkäfer sehe, erinnere ich mich an jenen Sommertag aus meiner frühen Kindheit, der mein damaliges Weltbild ins Wanken brachte.

Wie so oft an heißen Sonntagen fuhren meine Eltern mit uns Kindern an den Neusiedlersee zum Baden. Eigentlich mochte ich diesen See nicht besonders: Sein Wasser roch modrig, und es war so schlammig, dass ich meine Hand nicht mehr sehen konnte, sobald ich sie nur zehn Zentimeter unter die Oberfläche tauchte. Zudem versank ich bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln im zähen Boden, der sich unangenehm zwischen den Zehen durchdrückte. Doch ich hatte meine Aufgabe gefunden: das Retten von Marienkäfern und Bienen, die ins Wasser geraten waren und sich hilflos an der Oberfläche abmühten. Ich wurde zum Insektenretter.

An diesem besonderen Tag jedoch war alles anders. Der Parkplatz war leer, der Strand menschenlos, obwohl die Sonne strahlte. Schon bald wurde uns klar, warum: Jeder Quadratzentimeter der Wiese, jeder Baum, jedes Blatt war übervoll mit Tausenden von Marienkäfern. Die Tiere bedeckten alles, bewegten sich, flogen umher – eine wimmelnde rote Masse mit schwarzen Punkten. Ich war fassungslos. Meine helfende Hand erstarrte. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass meine empathische Haltung an ihre Grenze kam. Ich konnte nicht mehr retten – und ich wollte es auch nicht mehr. Die Masse hatte das Individuum verschlungen.

Damals fühlte es sich an wie eine biblische Plage. Später erinnerte ich mich im Religionsunterricht an die zehn Plagen Ägyptens – ich hatte meine ganz persönliche erlebt, nur eben mit Marienkäfern statt mit Heuschrecken. Doch jenseits der biblischen Bilder begann ich zu begreifen, wie schnell ein Gefühl von Fürsorge in Überforderung umschlagen kann, wenn das Individuum in der Masse verschwindet. Der Anblick dieser wimmelnden Insektenmasse wurde für mich zur frühen Lektion: Nicht die Anzahl an Leben ist das Problem – sondern die Unfähigkeit, dem Einzelnen darin noch zu begegnen. Vielleicht ist das auch das eigentliche Dilemma unserer Zeit: Die Marienkäfer von damals – das sind heute wir..

Die Frage hinter der Frage

„Sind wir zu viele?“ – Diese Frage scheint einfach, doch sie trägt eine ganze Weltanschauung in sich. Denn wer ist „wir“? Und was heißt „zu viele“?

Wenn wir sagen, es seien zu viele Menschen auf der Erde – wer genau ist dann zu viel? Die Chinesen? Die Inder? Die Menschen in Afrika oder vielleicht in Bangladesch? Es ist kein Zufall, dass der Begriff „Überbevölkerung“ oft dort zur Anwendung kommt, wo Armut, dunklere Hautfarben oder andere Kulturen sichtbar sind. Dabei ist gerade Europa eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt. Auch in Deutschland leben auf engem Raum viele Millionen Menschen – und doch würden nur die Wenigsten hierzulande auf die Idee kommen, sich selbst als Teil einer „Überbevölkerung“ zu bezeichnen.

Im Gegenteil: Sobald die Geburtenraten in Industrieländern sinken, wird sofort von einem „Demografieproblem“ gesprochen – von der „Überalterung“ der Gesellschaft, von „Fachkräftemangel“ und dem Zusammenbruch der Sozialsysteme. Dasselbe Phänomen – nämlich dass weniger Menschen geboren werden – wird dort, wo es passiert, nicht als Entlastung für den Planeten gewertet, sondern als Bedrohung für den Wohlstand. Das zeigt, wie sehr der Begriff „Überbevölkerung“ nicht objektiv, sondern interessengeleitet verwendet wird.

Die Definition von „zu viel“ ist also nicht nur eine Frage der Statistik, sondern vor allem eine Frage der Perspektive. Sie zeigt, wie eng unser Blick oft noch national oder kulturell verhaftet ist. Und sie offenbart, wie leicht sich die Grenze zwischen nüchterner Analyse und moralischer Abwertung verwischt. Sobald Menschenmengen anonym erscheinen, wird der Einzelne entwertet. Das ist keine Frage der Anzahl – sondern der Wahrnehmung.

Und trotzdem: Wenn man alle 8 Milliarden Menschen auf Mallorca stellen würde, hätte noch jeder Platz für sein Handtuch. Es klingt absurd – aber es stimmt. Rein vom Flächenverbrauch her sind wir nicht zu viele. Der Planet bietet genug Raum. Was fehlt, ist nicht Platz, sondern gerechte Organisation – und die Fähigkeit, uns als globale Gemeinschaft zu begreifen.

Die eigentliche Frage: Ressourcenverteilung

Der Begriff „Überbevölkerung“ stammt ursprünglich aus einer Zeit, in der die Ressourcenknappheit als unvermeidliche Naturgesetzlichkeit erschien. Der britische Ökonom Thomas Robert Malthus formulierte Ende des 18. Jahrhunderts die Theorie, dass die Bevölkerung exponentiell wächst, während Nahrungsmittelproduktion nur linear zunimmt. Ein Kollaps schien unvermeidlich. Seine Theorie prägte das Denken ganzer Generationen und führte zu einer tiefen Skepsis gegenüber allem, was mit Bevölkerungswachstum verbunden war. Doch bereits wenige Jahrzehnte später wurde diese Prognose von einer realen Entwicklung ad absurdum geführt: Mit der Erfindung und dem großflächigen Einsatz von Kunstdünger – vor allem durch das Haber-Bosch-Verfahren – konnte die landwirtschaftliche Produktivität so stark gesteigert werden, dass der zuvor befürchtete Ernährungskollaps nicht eintrat. Im Gegenteil: Die Erträge explodierten und zeigten, dass menschliche Innovationskraft die linearen Naturgrenzen zumindest zeitweise überwinden kann.

Diese Denkweise fand trotzdem im 20. Jahrhundert eine neue Form im Bericht des Club of Rome von 1972. Unter dem Titel Die Grenzen des Wachstums warnte die Studie vor einem ökologischen Kollaps durch die Gleichzeitigkeit von Bevölkerungsexplosion, Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung. Der Bericht machte international Schlagzeilen und löste eine breite Debatte aus. Er war einer der ersten Versuche, globale ökologische Fragen mit mathematischen Modellen zu analysieren. Doch die Prognosen waren teilweise zu pessimistisch: Die Weltbevölkerung stieg zwar, aber nicht wie vorhergesagt exponentiell ohne Ende. Viele Ressourcen, die damals als bald erschöpft galten – etwa Öl, Kupfer oder Nahrungsmittel –, sind durch technologische Entwicklungen, Recycling und Effizienzsteigerung länger verfügbar geblieben als erwartet.

Zudem wurde in den letzten Jahrzehnten deutlich, dass die Art und Weise, wie Ressourcen genutzt und verteilt werden, entscheidender ist als die bloße Anzahl der Menschen. Eine Milliarde hungernder Menschen bedeutet nicht, dass es nicht genug Nahrung gibt – sondern dass sie ungleich verteilt ist. Der Fokus auf die schiere Menge an Menschen vernachlässigt dabei systemische Zusammenhänge: politische Instabilität, ungerechte Handelsbeziehungen, wirtschaftliche Abhängigkeiten und Machtasymmetrien spielen eine weit größere Rolle als bloße Geburtenraten.

Heute wird der Begriff „Überbevölkerung“ zunehmend kritisch gesehen – nicht nur wegen seiner historischen Belastung, sondern auch, weil er häufig als Vorwand dient, um Probleme zu externalisieren. Er suggeriert, dass andere – oft ärmere – Länder und Menschen „zu viele“ seien, statt die Frage zu stellen, wie gerecht und nachhaltig unsere globale Wirtschafts- und Lebensweise tatsächlich ist.

Was wirklich zählt: Konsumverhalten

Heute wissen wir: Nicht die Anzahl der Menschen ist das Problem, sondern wie wir leben.

Ein Kind, das heute in den USA geboren wird, hat statistisch gesehen einen mehr als hundertfach größeren ökologischen Fußabdruck als eines in Afrika. Und Afrika – der Kontinent mit den höchsten Geburtenraten – trägt paradoxerweise am wenigsten zur globalen Erwärmung bei. Das zeigt: Die ökologische Verantwortung hängt nicht von der Zahl der Menschen ab, sondern von deren Lebensstil, Konsummustern und Energieverbrauch.

Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist unser Fleischkonsum. Weltweit werden etwa 85 % der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen nicht für den direkten Anbau von Nahrung verwendet, sondern für die Produktion von Tierfutter – insbesondere Soja und Mais. Das bedeutet: Ein Großteil unserer Ressourcen dient nicht der direkten Ernährung von Menschen, sondern der Mast von Nutztieren. Dabei ist die Umwandlungsrate von pflanzlicher in tierische Kalorien extrem ineffizient. Würden wir dieselbe Fläche nutzen, um pflanzliche Nahrungsmittel anzubauen, könnten wir – rein theoretisch – bis zu 35 Milliarden Menschen ernähren. Das Problem liegt also nicht in der Anzahl der Esser, sondern in den Essgewohnheiten derjenigen, die bereits genug haben.

Hinzu kommt, dass viele der Rohstoffe, die für unseren Konsum im globalen Norden notwendig sind, unter Ausbeutung und Umweltzerstörung im globalen Süden gefördert werden. Die Reichtümer der einen basieren oft auf den Entbehrungen der anderen. Wenn man von „zu vielen Menschen“ spricht, sollte man daher auch fragen: Wer konsumiert zu viel? Wer beansprucht zu viele Ressourcen? Und wer leidet unter den Folgen?

Was wir also sehen, wenn wir Menschenmassen in Afrika oder Indien betrachten, ist nicht Überbevölkerung – sondern Armut. Und diese Armut ist nicht naturgegeben, sondern menschengemacht. Denn das Land gehört oft nicht den vielen, die darauf wohnen, sondern den wenigen, die es besitzen. Infrastruktur, Bildung, Gesundheitssysteme – all das wird nicht von der Masse blockiert, sondern von ungleichen Besitz- und Machtverhältnissen.

Auch innerhalb der Länder gibt es große Unterschiede. Eine wohlhabende Familie in einer afrikanischen Hauptstadt mag einen weit höheren Ressourcenverbrauch haben als ein europäischer Durchschnittshaushalt – weil Globalisierung auch in die andere Richtung wirkt. Deshalb ist es umso wichtiger, nicht mit dem moralisch aufgeladenen Begriff der Überbevölkerung zu operieren, sondern das Thema differenziert zu betrachten.

Mit anderen Worten: Das Problem ist nicht die Menge der Menschen, sondern die Ungleichverteilung von Ressourcen, Eigentum und Chancen – sowohl zwischen Ländern als auch innerhalb von Gesellschaften. Wenn wir hier nicht ansetzen, wird jeder Versuch der Kontrolle oder Reduktion von Bevölkerungszahlen an der eigentlichen Wurzel vorbeigehen.

Überbevölkerung als politisches Narrativ

Nicht zufällig wird das Thema Überbevölkerung in politischen Debatten immer wieder aufgeladen. Rechte Gruppierungen nutzen es, um Ängste vor Migration zu schüren. Dabei wird der Mythos gepflegt, dass Zuwanderung aus Ländern mit hoher Geburtenrate unsere eigene Lebensweise bedrohe – ein Narrativ, das oft rassistische und koloniale Denkmuster reproduziert. Gleichzeitig greifen auch manche ökologisch motivierte Bewegungen zur Rhetorik der Überbevölkerung, wenn sie darauf hinweisen, dass der Mensch als Spezies zu einer Art globalem Parasiten geworden sei, der seine Umwelt systematisch zerstört.

Doch diese Sichtweise ist nicht nur verkürzt, sondern auch gefährlich. Sie verkennt die tieferliegenden systemischen Ursachen unserer ökologischen Krisen. Selbst wenn wir heute nur 500 Millionen Menschen wären – eine Wirtschaft, die nicht auf Cradle2Cradle-Prinzipien, auf Kreislaufwirtschaft und Ressourcengerechtigkeit umgestellt ist, würde den Planeten trotzdem zerstören. Es würde nur etwas länger dauern, bis dieselben Prozesse der Ausbeutung, Vermüllung und Emission ihre Wirkung entfalten.

Zudem verleitet das Überbevölkerungsnarrativ zu falschen politischen Maßnahmen: Statt Ressourcen gerecht zu verteilen und nachhaltige Technologien global zugänglich zu machen, wird versucht, durch restriktive Bevölkerungspolitiken Symptome zu behandeln. Die damit einhergehenden Eingriffe in die reproduktive Selbstbestimmung – insbesondere von Frauen in Entwicklungsländern – offenbaren, wie schnell aus ökologischer Sorge ein autoritärer Zugriff auf Körper und Leben wird.

Die Vorstellung, dass weniger Menschen automatisch zu einer gesünderen Erde führen, ist also ein gefährlicher Irrglaube. Nicht die Anzahl, sondern die Art unseres Wirtschaftens ist entscheidend – und die Frage, ob wir fähig sind, in anderen Menschen nicht bloße Zahlen, sondern Mitgestalter einer gemeinsamen Zukunft zu sehen.

Eine andere Perspektive: Die Menschheit als neuronales Netz

Stellen wir uns die Menschheit einmal als entstehendes neuronales Netzwerk vor. So wie im Mutterleib die Zahl der Nervenzellen im Gehirn eines Fötus rapide wächst, bis sie sich stabilisiert und beginnt, funktionale Verbindungen auszubilden – so könnte auch unsere Spezies auf einen Höhepunkt ihrer Expansion zusteuern.

Wenn man diesen Vergleich weiterführt, könnte man sagen: Das Internet war der erste große Sprung in Richtung einer global vernetzten Synapsenstruktur. Milliarden von Menschen begannen, Informationen auszutauschen, sich abzustimmen, miteinander zu kommunizieren – ähnlich wie Nervenzellen im wachsenden Gehirn. Mit dem Aufkommen künstlicher Intelligenz, globaler Datenströme und bald vielleicht auch Gehirn-Computer-Schnittstellen, wie sie aktuell erforscht werden, rücken wir einer kollektiven Bewusstseinsschicht näher, die mehr ist als die Summe ihrer Teile.

Die Menschheit als Ganzes könnte – in Analogie zur Theorie von James Lovelock und Lynn Margulis – das Bewusstsein Gaias bilden: ein Nervensystem des Planeten, das langsam seine Fähigkeit entwickelt, über sich selbst nachzudenken. Wenn das stimmt, dann ist das Wachstum unserer Population kein Zufall, sondern ein Übergangsstadium: Wir wachsen wie ein Gehirn, das zuerst viele Zellen bildet, um dann durch differenzierte Verbindung intelligentes Verhalten hervorzubringen.

In diesem Licht erscheint die Frage „Sind wir zu viele?“ fast naiv. Es ist nicht die schiere Anzahl, die entscheidend ist, sondern ob es gelingt, die einzelnen Menschen – wie Neuronen – sinnvoll zu vernetzen. Vielleicht sind wir nicht zu viele. Vielleicht sind wir genau die Anzahl, die notwendig ist, damit etwas Größeres entstehen kann.

Und tatsächlich: Demografische Forschungen deuten darauf hin, dass das globale Bevölkerungswachstum sich Mitte des 21. Jahrhunderts stabilisieren und dann sogar rückläufig werden könnte. Länder wie Japan, Italien und sogar China stehen bereits heute vor dem Problem der Unterbevölkerung.

Wohlstand und Bildung scheinen der stärkste „Verhütungsfaktor“ zu sein. Menschen in gesicherten Lebensverhältnissen entscheiden sich oft ganz freiwillig für weniger Kinder. Wo jedoch Armut, Unsicherheit und fehlende Perspektiven herrschen, steigt die Geburtenrate häufig – nicht als bewusste Entscheidung, sondern als Reaktion auf instabile Lebensbedingungen. Kinder werden dann oft auch als Absicherung im Alter, als Arbeitskraft oder als Quelle familiärer Bindung wahrgenommen, wenn das gesellschaftliche Netz versagt.

Dieser Zusammenhang gilt übrigens nicht nur für Menschen: Auch Tierpopulationen reagieren mit Geburtenreduktion bei abnehmendem Stress – oder mit raschem Wachstum bei erhöhtem Jagddruck, wenn sie Gefahr spüren oder wenn ihre Lebensgrundlagen bedroht sind. Es ist ein Notprogramm der Natur: Mehr Nachwuchs in unsicheren Zeiten, weniger in stabilen. Und Pflanzen? Die kennen das Phänomen der Notblüte, wenn der Tod naht – ein letztes Aufbäumen, um das eigene Erbgut weiterzugeben, bevor es zu spät ist.

Wenn wir also über Bevölkerungsentwicklung sprechen, sollten wir erkennen: Menschen sind keine Reproduktionsmaschinen, sondern reagieren auf ihre Umwelt. Wenn wir Armut, Unsicherheit und Ungleichheit abbauen, wenn wir globalen Wohlstand gerechter verteilen, wird auch die Geburtenrate weltweit sinken – nicht durch Zwang, sondern durch Vertrauen. Und dann könnte die Menschheit von sich aus zur Ruhe kommen, ohne Druck, ohne Kontrolle, allein durch die Aussicht auf ein besseres Leben für alle.

Die eigentliche Aufgabe: Eine gerechte Zukunft

Wenn wir also über Überbevölkerung reden, reden wir in Wahrheit über Gerechtigkeit. Über Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Eigentum, sauberem Wasser, gesunder Nahrung, einem menschenwürdigen Leben. Der Begriff „Überbevölkerung“ lenkt dabei nicht nur von den tatsächlichen Ursachen unserer globalen Krisen ab, sondern verschiebt unsere Intentionen ins Nutzlose. Er verführt dazu, Symptome zu behandeln, statt die Strukturen zu verändern. Statt globalen Wohlstand zu fördern, Infrastruktur auszubauen und Chancengleichheit zu schaffen, schürt er Angst – und verhindert genau jene Entwicklungen, die die Welt stabiler und lebenswerter machen würden.

Der Evolutionäre Idealismus sagt: Bewusstsein ist der Ursprung aller Realität. Und jede*r von uns ist ein Holon – ein ganzheitliches Bewusstseinszentrum, das nicht nur lebt, sondern Bedeutung erzeugt. Die Welt, wie wir sie erleben, ist ein kollektiver Akt der Bedeutungserzeugung.

Wenn wir andere Menschen als zu viele betrachten, dann hören wir auf, sie als Träger dieser Bedeutung wahrzunehmen. Dann entmenschlichen wir sie. Dann sind wir zurück am Neusiedlersee – unfähig, im Gewimmel noch den einzelnen Marienkäfer zu sehen.

Und was ist mit der Zukunft?

Vielleicht stehen wir am Anfang einer ganz neuen Phase: der Kolonialisierung des Sonnensystems. Schon jetzt träumen Wissenschaftler und Unternehmer von Städten auf dem Mars, schwimmenden Plattformen in der Venusatmosphäre, Ozeankolonien auf den Monden Jupiters. Diese Visionen sind keine bloßen Fantasien, sondern spiegeln eine tiefe Einsicht wider: Wenn sich unsere technologische Reichweite erweitert, muss auch unsere gesellschaftliche Verantwortung mitwachsen. Die Herausforderungen der Zukunft werden nicht kleiner – sie werden globaler, komplexer, interplanetarischer.

Dabei wird es nicht reichen, dieselben Systeme von Ausbeutung und Ungleichheit einfach in neue Welten zu exportieren. Wir müssen lernen, nachhaltig zu wirtschaften – nicht nur auf der Erde, sondern auch jenseits von ihr. Das bedeutet, dass unser Denken sich wandeln muss: weg vom kurzsichtigen Profitstreben, hin zu regenerativen Kreisläufen und einem Bewusstsein für planetare und interplanetare Ökologie.

Gerade die Herausforderung, auf fernen Himmelskörpern zu überleben, zwingt uns dazu, die Biosphäre der Erde technologisch in kleinstem Maßstab zu imitieren – mit vollständig geschlossenen Kreisläufen für Wasser, Luft und Nährstoffe. Was unter extremen Bedingungen auf dem Mars funktioniert, wird auch auf der Erde ökologisch tragfähig sein. So könnte aus der Notwendigkeit der Weltraumkolonisierung ein Innovationsschub für die Nachhaltigkeit auf unserem Heimatplaneten entstehen.

Nur wenn wir es schaffen, Gerechtigkeit, Technologie und Empathie zu verbinden, können wir eine Menschheit gestalten, die nicht als Belastung, sondern als schöpferische Kraft verstanden wird.

Dann sind wir gar nicht zu viele. Im Gegenteil: Dann sind wir vielleicht noch nicht genug – weil jede neue Stimme, jede neue Idee, jedes neue Bewusstsein gebraucht wird, um diesen gewaltigen Schritt gemeinsam zu gehen..


Vielleicht ist das eigentliche Problem nicht die Anzahl der Menschen, sondern unsere Unfähigkeit, alle als Träger einer einzigartigen Innenwelt zu sehen. Vielleicht beginnt Nachhaltigkeit nicht beim CO₂-Ausstoß – sondern bei der Empathie.


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