Evolutionärer Idealismus im Gespräch mit dem Atheismus

Warum Bewusstsein mehr ist als ein Nebenprodukt der Materie.

Einleitung

In einem angeregten Gespräch mit einem atheistisch orientierten Kritiker wurde ich herausgefordert, den Evolutionären Idealismus (EvId) nicht nur gegen klassische Vorwürfe zu verteidigen, sondern auch seine erkenntnistheoretischen und wissenschaftsphilosophischen Grundlagen klarer zu benennen. Dieses Gespräch wurde für mich zu einem Anstoß, zentrale Punkte meiner Theorie neu zu formulieren – mit dem Ziel, sowohl philosophische Klarheit zu schaffen als auch die Anschlussfähigkeit an aktuelle naturwissenschaftliche Diskurse zu zeigen. Der folgende Artikel ist daher keine polemische Verteidigung, sondern ein konstruktiver Beitrag zur Debatte um Bewusstsein, Materie und Realität.


Der Evolutionäre Idealismus – keine Wiederholung des klassischen Idealismus

Atheistische Kritiker werfen dem Evolutionären Idealismus oft vor, lediglich eine Variante des klassischen Idealismus zu sein – also eine Art Neuauflage spekulativer Systeme, wie man sie von Hegel, Berkeley oder Leibniz kennt. Diese Einschätzung verkennt jedoch das Fundament und die methodische Stoßrichtung des EvId.

EvId ist nicht spekulativ im metaphysischen Sinne, sondern integrativ im erkenntnistheoretischen Sinne. Er verbindet:

  • Penroses Drei-Welten-Modell (Mathematik – Physik – Bewusstsein),
  • Tononis Integrierte Informationstheorie (IIT) zur Beschreibung bewusster Systeme,
  • Stephen Wolframs konzeptionelles Raum-Zeit-Modell,
  • sowie Strukturansätze der modernen Quantengravitation (wie Loop-Quantengravitation).

Ziel ist es, eine Meta-Ontologie zu formulieren, die Materialismus, Idealismus, Panpsychismus und Dualismus nicht gegeneinander ausspielt, sondern in ein evolutionäres Gesamtbild integriert. Dieses Bild basiert auf der Prämisse, dass Bewusstsein keine abgeleitete Eigenschaft physikalischer Systeme ist, sondern ein grundlegend strukturierendes Element der Wirklichkeit – so real wie Raum und Zeit.


Das harte Problem des Bewusstseins – eine bleibende Herausforderung

In Diskussionen mit naturalistisch denkenden Skeptikern wird häufig behauptet, die Neurowissenschaften seien dabei, das Rätsel des Bewusstseins zu lösen. Diese Hoffnung basiert auf einem Missverständnis – dem Unterschied zwischen dem weichen und dem harten Problem des Bewusstseins, wie ihn der Philosoph David Chalmers formuliert hat.

  • Das weiche Problem fragt: Wie entstehen Bewusstseinsinhalte?
  • Das harte Problem fragt: Warum gibt es überhaupt subjektives Erleben?

Das weiche Problem ist zugänglich für empirische Forschung – etwa durch die Messung neuronaler Aktivität. Das harte Problem hingegen ist kategorial anderer Natur: Es stellt eine metaphysische Grundfrage dar, die sich nicht durch empirische Daten allein beantworten lässt. Hier liegt die Stärke des EvId: Er erkennt an, dass subjektives Erleben nicht auf neuronale Prozesse reduziert werden kann, sondern einen ontologischen Eigenstatus besitzt.


Was bedeutet „Bewusstsein ist grundlegend“?

Die Aussage, dass Bewusstsein „grundlegend“ sei, wird oft als esoterisch oder unprüfbar kritisiert. Doch sie ist philosophisch ernst zu nehmen – besonders dann, wenn man sie nicht mystisch überhöht, sondern erkenntnistheoretisch begreift: Als Evidenz.

Jeder Mensch erlebt Bewusstsein – nicht nur als Inhalt (Gedanken, Gefühle), sondern als unmittelbare Gegebenheit, als „Licht“, in dem alle Inhalte erscheinen. Diese Erfahrung ist keine Spekulation, sondern der einzig sichere Zugang zur Realität: Cogito ergo sum in moderner Form. Daraus folgt: Jede Ontologie, die Bewusstsein nicht berücksichtigt, ist unvollständig.

EvId nimmt diese Gegebenheit ernst, ohne sie zu mystifizieren. Er beschreibt sie als die innere Perspektive auf Information – nicht als Produkt, sondern als Modus.


Physik, Information und die emergente Welt

Ein weiteres Missverständnis betrifft die Annahme, EvId sei „unwissenschaftlich“. Dabei stützt sich die Theorie auf zahlreiche physikalisch begründete Konzepte:

  • Das holografische Prinzip (’t Hooft, Susskind) legt nahe, dass der 3D-Raum ein emergentes Phänomen auf Basis einer 2D-Informationsstruktur ist.
  • In der Loop-Quantengravitation und anderen Theorien wird Raumzeit als relationales Geflecht gedacht – nicht als absolute Bühne.
  • Stephen Wolframs Hypothese stellt die Raumzeit als emergentes Rechennetz dar, das aus einfachen Regeln komplexe Strukturen erzeugt.

EvId interpretiert diese Modelle nicht als Beweis für Bewusstsein, sondern als Anzeichen dafür, dass die materielle Welt selbst Informationsstruktur ist – und somit offen für eine Deutung, in der Bewusstsein als Perspektive auf Information gedacht werden kann.


Transrationalität – eine Erweiterung des rationalen Denkens

Der Begriff der „transrationalen Dimension“ wird oft missverstanden. Er meint nicht Irrationalität, sondern die Integration von Komplexität, wie sie in der Systemtheorie und in der postklassischen Physik notwendig wird. Spiral Dynamics und andere entwicklungspsychologische Modelle beschreiben diesen Übergang als eine neue kognitive Haltung:

Rationalität: Jede Ursache hat eine Wirkung
Transrationalität: Jede Ursache hat unzählige potenzielle Wirkungen – und umgekehrt.

In dieser Perspektive wird kausales Denken durch probabilistische und systemische Muster ersetzt. Das ist keine Mystik, sondern eine realistische Beschreibung der komplexen Welt, wie sie sich etwa in der Chaostheorie oder Quantenphysik zeigt.

EvId nimmt diese Ebene ernst – nicht als „Flucht aus der Wissenschaft“, sondern als erweiterte Form wissenschaftlichen Denkens.


Der Glaube an den Naturalismus – eine unbegründete Gewissheit?

Im abschließenden Teil unseres Gesprächs stellte der atheistische Gesprächspartner fest, dass die Lücke im Bewusstseinsverständnis kein Beleg für den EvId sei, sondern nur ein Aufruf zu mehr Forschung im Rahmen des Naturalismus.

Das ist nachvollziehbar – aber philosophisch kurzsichtig. Denn es ignoriert, dass der Naturalismus selbst eine ontologische Vorannahme ist. Wer sagt: „Nur das, was empirisch messbar ist, ist real“, hat sich bereits auf ein Weltbild festgelegt. Dieses Dogma ist nicht beweisbar – es ist eine Überzeugung.

Der Evolutionäre Idealismus fordert genau hier ein Umdenken: Wenn Bewusstsein evident ist, dann sollte es ontologischen Status erhalten. Und wenn die materielle Welt sich als Informationsstruktur begreifen lässt, dann liegt es nahe, die Rolle des Bewusstseins nicht als nachgelagerten Nebeneffekt, sondern als konstitutiv für Realität zu denken.


Fazit: EvId als Brücke zwischen Wissenschaft und Erfahrung

Das Gespräch mit meinem atheistischen Gesprächspartner war erkenntnisreich – nicht, weil es zu einer Einigung führte, sondern weil es zeigte, wie unterschiedlich die Erwartungen an Wissenschaft und Philosophie heute sind.

Der Evolutionäre Idealismus versteht sich nicht als Anti-Atheismus oder Esoterik, sondern als Versuch, die Lücke zwischen innerer Erfahrung und äußerer Beschreibung zu überbrücken. Er nimmt die Struktur der Realität ebenso ernst wie die Evidenz des Erlebens – und plädiert für eine Ontologie, in der Information, Bewusstsein und Evolution in einem gemeinsamen Rahmen gedacht werden können.

Wir stehen am Beginn einer epistemischen Wende, die nicht weniger radikal sein wird als die kopernikanische Revolution. Der Evolutionäre Idealismus könnte ein Schritt in diese Richtung sein.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Evolutionärer Idealismus im Gespräch mit dem Atheismus“

  1. Avatar von Gerhard Höberth

    Ergänzung:
    Der Begriff „Eigenschaftsdualismus“ ist ein guter Einstieg, um den evolutionären Idealismus zu verstehen. Allerdings empfinde ich ihn als zu objektivistisch, weil er immer noch davon ausgeht, dass Materie in erster Linie ein Objekt oder Ding ist — auch wenn dieses Ding vielleicht ein Innenleben haben kann.

    Was dabei oft übersehen wird, ist: Beide Perspektiven, das Objektive und das Innere, setzen ein Subjekt voraus.
    Der beobachtende Wissenschaftler, also das subjektive „Ich“, das die Welt erforscht und beobachtet, bleibt bei einem klassischen Eigenschaftsdualismus außen vor.

    Diese objektive, also „Es“-Perspektive, war zu Beginn der modernen Wissenschaft wichtig, um sich von vorwissenschaftlichen, subjektiv geprägten Naturbetrachtungen — der „Du“-Perspektive — abzugrenzen.

    Heute brauchen wir jedoch eine neue Sichtweise, die diese einseitige Objektivität überwindet und den Forscher als Teil derselben Wirklichkeit mit in den Blick nimmt.
    Ich nenne das eine Perspektive der 4. Person — eine Meta-Perspektive, die das Subjekt innerhalb des Beobachtungsprozesses berücksichtigt und die gesamte Beziehung zwischen Innen- und Außenwelt einschließt.

    Daher spreche ich von einem Perspektivendualismus:

    – Ein Ding oder System kann sich selbst von innen erleben (Innenperspektive),
    – und jede objektive Betrachtung eines Dings erfordert ebenfalls ein Subjekt, das von außen beobachtet (Außenperspektive).

    Beide Sichtweisen sind untrennbar verbunden und bedingen einander — und erst in dieser wechselseitigen Beziehung entsteht für uns eine vollständige Wirklichkeit.

    Jeder Quantenkollaps entsteht durch die relationale Wechselwirkung von mindestens zwei Teilchen. Dabei wird die Information über das jeweils andere Teilchen — also sozusagen die „Wahrnehmung“ der objektiven Außenwelt — in die Informationsmuster des eigenen Systems eingewoben (und der rest der Wahrscheinlichkeitswolke gelöscht).

    Ähnlich erkennen auch wir Menschen die Außenwelt nur, weil Informationskanäle wie Licht- und Schallwellen oder Duftmoleküle unseren Körper aktiv verändern — etwa die Netzhaut, das Trommelfell oder andere Sinnesrezeptoren. Jede Wahrnehmung ist demnach immer in erster Line eine von außen ausgelöste Veränderung des eigenen Systems.

    Daraus lässt sich folgern: Die Veränderung des Informationszustands bei einem Quantenkollaps kann man als eine sehr rudimentäre Form von Wahrnehmung verstehen — als eine Art basales Erkennen von Selbst und Umwelt.

    Dieses Prinzip gilt nicht nur für elementare Teilchen, sondern auch für komplexe, holistische Systeme, wie sie die Integrierte Informationstheorie (IIT) von Tononi beschreibt. Dort ist Bewusstsein ebenfalls eine Form von Informationsverarbeitung und Selbstbezug, die sich aus der Interaktion und Integration von Informationsmustern ergibt.

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