Werden wir die KI-Revolution verschlafen?

Aktuelle Schlagzeilen der Politik:

  • Bürgergeld wird gekürzt – „Faulheit“ soll bestraft werden
  • Rentenalter steigt weiter – länger arbeiten für eine unsichere Zukunft
  • Mindestlohnabstand zum Bürgergeld bleibt umstritten
  • Sanktionen für Arbeitsverweigerer werden verschärft
  • Bürokratie bei Sozialleistungen wächst unaufhörlich
  • „Arbeitsmarkt“ bleibt Kernfokus der Sozialpolitik

Diese Schlagzeilen spiegeln wider, womit sich Politik und öffentliche Debatten derzeit beschäftigen. Doch während über immer engere Grenzen für Unterstützungen und die „Leistungsbereitschaft“ der Menschen und um die Rechtmäßigkeit einer „Work-Life-Balance“ gestritten wird, zeichnet sich am Horizont ein viel fundamentalerer Wandel ab – eine Umwälzung, die die Grundfesten von Arbeit, Gesellschaft und Wirtschaft auf den Kopf stellen wird.


Die kommende Umwälzung: KI, AGI, ASI und Robotik automatisieren die Arbeitswelt

Künstliche Intelligenz (KI), insbesondere die Entwicklung zu Allgemeiner Künstlicher Intelligenz (AGI) und Superintelligenter KI (ASI), zusammen mit immer leistungsfähigeren Robotiksystemen, werden in den kommenden Jahren viele – wenn nicht die meisten – menschlichen Arbeitsfelder automatisieren. Die Folgen sind dramatisch:

  • Erwerbsarbeit verliert ihre zentrale Rolle als Mittel zur Existenzsicherung
  • Klassische Sozialsysteme geraten unter Druck und sind nicht für den Wandel ausgelegt
  • Wohlstand wird zunehmend durch technologische Produktivität generiert – doch wie wird dieser verteilt?

Diese Realität wird die politische Debatte und gesellschaftliche Organisation fundamental verändern. Bürgergeldkürzungen, Rentenalterdebatten und Sanktionen werden rückblickend und relativ zu dieser Entwicklung marginal und unbedeutend erscheinen.


Wo bleibt die politische Vision für das Zeitalter der Automatisierung?

Trotz der offenkundigen Bedeutung dieser Transformation scheinen offizielle Stellen das Ausmaß der Veränderungen noch kaum wahrzunehmen. Fragen, die jetzt dringend auf die Agenda gehören, sind:

  • Wie gestalten wir ein universelles Grundeinkommen, das die Verteilung des entstehenden Wohlstands sicherstellt?
    Das universelle Grundeinkommen (UBI) ist eine zentrale Idee, um den durch Automatisierung und KI entstehenden Wohlstand gerecht und nachhaltig zu verteilen. Anders als herkömmliche Sozialleistungen wäre das UBI eine regelmäßige, bedingungslose Zahlung an alle Bürger, die unabhängig von Einkommen oder Arbeitsleistung gewährt wird. Dies würde existenzielle Sicherheit bieten und den sozialen Zusammenhalt stärken, gerade wenn Erwerbsarbeit als Einkommensquelle immer seltener wird. Für die praktische Umsetzung scheint die Einführung einer Negativen Einkommensteuer ein besonders effektiver Weg zu sein: Dabei erhalten Personen unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze staatliche Zahlungen, während höhere Einkommen entsprechend besteuert werden. So wird das Grundeinkommen automatisch an den individuellen Bedarf angepasst, ohne komplizierte bürokratische Kontrollmechanismen. Die Finanzierungsbasis liegt dabei auf der gemeinsamen Nutzung des durch KI und Robotik gesteigerten Produktivitätszuwachses, etwa durch Unternehmenssteuern oder Abgaben auf automatisierte Produktion. Zugleich braucht es eine transparente, demokratische Infrastruktur, die über die Verteilung entscheidet und so das Vertrauen der Bevölkerung in das neue System sichert. Damit wird das UBI, realisiert durch eine Negative Einkommensteuer, nicht nur ein soziales Sicherheitsnetz, sondern ein grundlegendes Element einer gerechten und post-arbeitsteiligen Gesellschaft.
  • Welche neuen Modelle der Bürgerbeteiligung und demokratischen Teilhabe sind nötig, um Gesellschaften in der Post-Erwerbsarbeitswelt zusammenzuhalten?
    Die klassische Demokratie, die stark auf Erwerbsarbeit und ökonomische Teilhabe basiert, steht durch den Wandel hin zu einer Post-Erwerbsarbeitsgesellschaft vor großen Herausforderungen. Um sozialen Zusammenhalt und politische Legitimität zu sichern, sind neue Formen der Bürgerbeteiligung notwendig, die weit über Wahlurnen und Parteien hinausgehen. Digitale Plattformen können hier eine Schlüsselrolle spielen, indem sie transparente, partizipative Entscheidungsprozesse ermöglichen, die Bürger direkt und kontinuierlich in politische Gestaltungsprozesse einbinden. Solche Systeme können Debattenräume schaffen, bei denen nicht nur Meinungen ausgetauscht, sondern auch Kompromisse in Echtzeit erarbeitet werden. Darüber hinaus sind partizipative Budgets, Bürgerräte oder deliberative Demokratieformate wichtige Instrumente, um Bürger*innen in lokaler und überregionaler Ebene konkrete Mitbestimmung zu ermöglichen. Gerade in einer Zeit, in der traditionelle Arbeitsrollen an Bedeutung verlieren, gewinnen soziale und politische Engagements als Quellen von Sinn und Identität an Gewicht. Demokratie muss sich daher zu einem aktiven, lernenden Prozess wandeln, der die Vielfalt und Kreativität der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt und so den Zusammenhalt in einer sich rapide verändernden Welt stärkt. Wie dies geschehen könnte, habe ich auch in meinem Buch „Türkise Transformation“ beschrieben.
  • Wie kann die Politik psychologische und soziale Resilienz fördern, damit Menschen den Wandel als Chance und nicht als Bedrohung erleben?
    Der psychologische Umgang mit dem tiefgreifenden Wandel durch Automatisierung und KI ist eine der größten Herausforderungen für Politik und Gesellschaft. Gegenwärtig wird in vielen politischen Diskursen das Narrativ gepflegt, das die Gesellschaft spaltet: Mindestlohnempfänger werden gegen Bürgergeldempfänger ausgespielt, „faule“ Sozialleistungsbezieher stigmatisiert, während der „fleißige Bürger“ als moralische Instanz gefeiert wird. Dieses Narrativ ist nicht nur sozial spaltend, sondern verliert in einer Post-Erwerbsarbeitsgesellschaft seine Grundlage, denn die Bedeutung von Erwerbsarbeit als Maßstab für Wert und Moral wird abnehmen. Um den Wandel als Chance und nicht als Bedrohung erfahrbar zu machen, muss Politik aktiv soziale und psychologische Resilienz fördern: Das bedeutet, Ängste vor sozialem Abstieg und Identitätsverlust ernst zu nehmen und Räume zu schaffen, in denen neue Formen von Sinn, Gemeinschaft und Engagement entdeckt werden können. Bildungsprogramme, psychosoziale Begleitung und öffentlich geführte Diskurse, die das alte Leistungsdenken hinterfragen und neue Werte wie Kreativität, Solidarität und lebenslanges Lernen hervorheben, sind hier entscheidend. Nur wenn Menschen sich als Teil einer gemeinsamen, sinnstiftenden Zukunft begreifen, kann die Gesellschaft den bevorstehenden Wandel gemeinsam tragen und gestalten.
  • Welche organisatorischen und wirtschaftlichen Roadmaps helfen, die Transformation sozial gerecht und nachhaltig zu gestalten?
    Die anstehende Transformation hin zu einer post-industriellen, KI-gestützten Gesellschaft verlangt klare, langfristig angelegte Roadmaps, die sowohl soziale Gerechtigkeit als auch ökologische Nachhaltigkeit ins Zentrum stellen. Organisatorisch bedeutet dies, bestehende Institutionen flexibel und innovationsfähig zu machen: Staatliche Strukturen müssen partizipative Entscheidungsprozesse ermöglichen und eng mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten, um Lösungen aus der Gesellschaft heraus zu fördern. Wirtschaftlich ist eine Abkehr vom klassischen Wachstumsparadigma hin zu einer Kreislaufwirtschaft unabdingbar, die Ressourcen schont und Lebensqualität statt bloßen Konsum maximiert. Das bisher dominierende Wachstumsparadigma verliert zudem an Notwendigkeit, wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) etabliert ist: Denn dann ist Erwerbsarbeit nicht mehr Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und Existenzsicherung – eine fundamentale Voraussetzung, um das bisherige „Immer mehr“-Prinzip, das unseren Planeten überlastet, zu überwinden. Steuerpolitisch sollten Modelle implementiert werden, die die durch KI und Automatisierung generierten Produktivitätsgewinne fair verteilen – etwa durch Maschinen- oder Robotiksteuern sowie eine Reform der Unternehmensbesteuerung. Ebenso wichtig ist die Förderung von Innovationen im sozialen Sektor, die neue Arbeits- und Beteiligungsformen ermöglichen, sowie Investitionen in Bildung und Infrastruktur, die die Gesellschaft resilienter gegenüber künftigen Veränderungen machen. Nur mit einem ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz lässt sich die Transformation so gestalten, dass sie nicht zu sozialen Verwerfungen führt, sondern nachhaltigen Wohlstand für alle schafft.

Die Notwendigkeit einer Roadmap für eine humane Zukunft

Es reicht nicht, nur auf die technischen Entwicklungen zu reagieren. Politik und Gesellschaft müssen proaktiv Strategien entwickeln, um die Folgen zu gestalten. Eine mögliche Roadmap könnte folgende Schritte umfassen:

  1. Umfassende gesellschaftliche Aufklärung und Diskurs über die Tragweite der Automatisierung.
    Eine solche Aufklärung schafft das notwendige Bewusstsein für die tiefgreifenden Folgen der Automatisierung und fördert einen offenen, inklusiven Diskurs, der Ängste abbaut und Chancen sichtbar macht. Nur so kann die Gesellschaft gemeinsam fundierte Entscheidungen für die Zukunft treffen.
  2. Experimentelle Einführung und Erprobung von bedingungslosen Grundeinkommen als finanzielles Sicherheitsnetz.
    Die schrittweise Einführung einer Negativen Einkommensteuer – beginnend mit einem niedrigen Satz, der allmählich erhöht wird – ermöglicht eine kontrollierte Erprobung des bedingungslosen Grundeinkommens und liefert wichtige Erkenntnisse über seine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen.
  3. Entwicklung neuer demokratischer Beteiligungsformen, etwa digitale Plattformen für Mitbestimmung.
    In einer Zeit zunehmender Komplexität und Vielfalt politischer Themen ist es entscheidend, die Bürger*innen aktiv in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. In meinem Blogbeitrag „Die Zukunft der Politik“ schlage ich innovative digitale Plattformen vor, die Echtzeit-Kommunikation und kollektive Intelligenz nutzen, um politische Diskurse zu fördern. Ein Beispiel hierfür ist die Plattform Thinkscape, die es ermöglicht, große Gruppen in produktive Diskussionen einzubinden und durch Schwarm-KI-Technologie die kollektive Intelligenz effizient zu nutzen. Solche Plattformen können die Transparenz erhöhen, die Inklusivität stärken und die Qualität politischer Entscheidungen verbessern, indem sie eine breitere Beteiligung und fundierte Konsensbildung ermöglichen.
  4. Psychologische Begleitung und Bildungsprogramme, die Menschen auf neue Rollen und Identitäten vorbereiten.
    Der Wandel zur Post-Erwerbsarbeitsgesellschaft verändert nicht nur ökonomische Strukturen, sondern auch das Selbstverständnis vieler Menschen. Um diesen Übergang zu erleichtern, sind gezielte psychologische Unterstützungsangebote wichtig, die Ängste vor Identitätsverlust und sozialer Isolation abfedern. Gleichzeitig müssen Bildungsprogramme entwickelt werden, die nicht nur fachliche Kompetenzen vermitteln, sondern auch Persönlichkeitsentwicklung, Kreativität und lebenslanges Lernen fördern. So können Menschen neue Rollen finden, die jenseits traditioneller Erwerbsarbeit Sinn stiften – sei es im sozialen Engagement, in künstlerischen Tätigkeiten oder in der Mitgestaltung der Gesellschaft. Diese ganzheitliche Vorbereitung ist essenziell, um den Wandel als Chance und nicht als Bedrohung zu erleben.
  5. Ökonomische Neuausrichtung hin zu nachhaltiger Produktion und Verteilung.
    Eine zukunftsfähige Gesellschaft muss das Wirtschaftssystem grundlegend neu ausrichten: Weg von kurzfristigem Profitstreben und Ressourcenverbrauch hin zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Produktion, die langfristige Lebensqualität in den Mittelpunkt stellt. Dies beinhaltet die Förderung von Kreislaufwirtschaft, erneuerbaren Energien und sozial verantwortlichem Unternehmertum. Gleichzeitig sind gerechte Verteilungsmechanismen essenziell, um die durch technologische Produktivität entstehenden Mehrwerte breit und fair in der Gesellschaft zu verankern. Nur durch diese ökologische und soziale Umgestaltung kann wirtschaftlicher Fortschritt mit dem Schutz unseres Planeten und sozialem Frieden Hand in Hand gehen.

Diese Schritte sollen helfen, einen sanften Übergang zu ermöglichen, der nicht in sozialen Verwerfungen oder wachsender Ungleichheit endet.


Es ist Zeit, jetzt die richtigen Fragen zu stellen

Während die Politik heute noch in alten Kategorien denkt, steht die Menschheit am Beginn eines epochalen Wandels. KI, AGI, ASI und Robotik werden Arbeit radikal verändern – und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Verteilung von Wohlstand grundlegend neu formen. Es drohen soziale Spannungen, wenn diese Umbrüche nicht aktiv gestaltet werden, aber zugleich bieten sich ungeahnte Chancen für eine gerechtere, freiere und kreativere Gesellschaft.

Es ist daher höchste Zeit, dass politische Verantwortungsträger und Bürger gemeinsam mutige Visionen entwickeln und konkrete Strategien formulieren, die diesen Wandel nicht nur verwalten, sondern menschlich, gerecht und nachhaltig gestalten. Dies erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen: weg von der Fixierung auf Erwerbsarbeit als Wertmaßstab, hin zu einem Verständnis von Teilhabe, das auf Solidarität, Sinnstiftung und ökologischer Verantwortung basiert.

Nur durch eine integrative, offene und vorausschauende Politik können wir die Herausforderungen der Zukunft in Chancen verwandeln und eine Gesellschaft formen, in der technologische Innovation und menschliches Wohlbefinden Hand in Hand gehen.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

2 Antworten zu „Werden wir die KI-Revolution verschlafen?“

  1. Avatar von Carsten Sauerbrei
    Carsten Sauerbrei

    Vielen Dank für diese und andere für mich sehr informative und inspirierende Beiträge! Mir fehlt jedoch neben der Darstellung der Chancen von KI, Automatisierung und Robotik eine abwägende Darstellung der Risiken bzw. Nachteile wie z.B. sehr stark wachsender nicht-nachhaltiger Stromverbrauch; weiterer Verlust an echter menschlicher Interaktion und damit auch an Mitgefühl und sozialen Fertigkeiten; Verlust bzw. Verringerung demokratischer Kontrolle von politischen Entscheidungen durch intransparente vermeintliche Objektivität von KI’s;Dominanz von automatisierten Systemen über menschliche Einflussnahme, Gestaltung; Nutzung von KI und Robotik für unethische bzw. undemokratische Zwecke Krieg, Gewalt, Betrug, politische Verfolgung etc.; Abschaffung von Privatsphäre und Datenschutz. Erst wenn für diese Risiken ausreichend Lösungen gefunden werden bzw. Schutz davor gewährt wird, ist aus meiner Sicht die weitere digitale Entwicklung wirklich eine Bereicherung für die Menschheit. Sonst aus meiner Sicht eher eine Bedrohung.

    1. Avatar von Gerhard Höberth

      Vielen herzlichen Dank für diese inspirierenden Anregungen. Ich werde versuchen in einer meiner nächste Artikel diese Punkte näher zu bleueuchten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert