Warum die nächsten 25 Jahre alles in den Schatten stellen könnten, was wir je erlebt haben
Trotz der derzeit düsteren Aussichten für die liberale Demokratie weltweit – mit wachsender Polarisierung, Systemkrisen und einem scheinbar endlosen Strom schlechter Nachrichten – gibt es gute Gründe für Zuversicht. Denn wir stehen nicht vor dem Untergang, sondern an der Schwelle zu einer beispiellosen Phase menschlichen Fortschritts.
Die kommenden 25 Jahre könnten alles in den Schatten stellen, was wir bisher erlebt haben – technologisch, gesellschaftlich und zivilisatorisch. Das behauptet der Technologiefuturist Peter Leyden, der unsere gegenwärtige Krise nicht als Ausnahme, sondern als Teil eines wiederkehrenden historischen Musters versteht: ein Zyklus aus Zusammenbruch, Konflikt und Erneuerung, der sich etwa alle 80 Jahre wiederholt.
Laut Leyden hat Amerika diesen Zyklus bereits dreimal durchlaufen – und jedes Mal führte er nach einer Phase der Spaltung und Unsicherheit in eine Ära des Fortschritts. Heute, so seine These, stehen wir erneut an einem solchen Wendepunkt, diesmal getragen von drei bahnbrechenden technologischen Revolutionen: Künstliche Intelligenz, saubere Energie und biologische Transformation.
1. Der 80-Jahre-Zyklus: Warum unsere Gegenwart ein bekanntes Muster ist
Leyden identifiziert ein sich wiederholendes Muster in der amerikanischen Geschichte, das von drei Kräften getragen wird: technologischen Umbrüchen, wirtschaftlichen Verwerfungen und einem Generationswechsel. Etwa alle 80 Jahre, wenn eine neue Generation die Macht übernimmt, die sich nicht mehr an die letzte große Krise erinnern kann, kommt es zu folgendem Zyklus:
- Zusammenbruch: Ein ehemals funktionierendes System wird dysfunktional und bricht unter neuen Realitäten zusammen.
- Konflikt: Es folgt eine Phase extremer Polarisierung – zwischen Kräften der Bewahrung und des Wandels.
- Erneuerung: Neue Technologien erreichen ihren Durchbruch und ermöglichen einen 25-jährigen Innovationsschub, der ein neues Gesellschafts- und Wirtschaftssystem formt.
Dieses Muster lässt sich in der US-Geschichte klar erkennen:
- 1945 – Nach dem Zweiten Weltkrieg: Der Zusammenbruch war die Weltwirtschaftskrise, gefolgt von den politischen Extremen der 1930er. Die Erneuerung kam durch Massenproduktion, Infrastrukturprojekte und soziale Programme wie die GI Bill – und schuf eine breite Mittelschicht.
- 1865 – Ende des Bürgerkriegs: Die auf Sklaverei basierende Wirtschaft des Südens brach zusammen. Der Konflikt war der Bürgerkrieg. Die Erneuerung folgte mit Eisenbahn, Homestead Act und Bildungsoffensiven – ein 25-jähriger Entwicklungsschub des amerikanischen Westens.
- Späte 1780er – Nach dem Unabhängigkeitskrieg: Zusammenbruch des Kolonialsystems, ein ideologischer Konflikt zwischen Loyalisten und Revolutionären, gefolgt von einem durch technologische Erfindungen beflügelten Aufbau des neuen Staates.
Diese Zyklen zeigen: Die heutige Krise ist kein Unfall. Sie ist die notwendige Geburtswehe einer kommenden Erneuerung.
2. Wendepunkt Nr. 1: Künstliche Intelligenz als neue Aufklärung
Der erste revolutionäre Wandel ist die Künstliche Intelligenz – für Leyden „die größte technologische Geschichte unserer Zeit“. Sie verspricht eine Demokratisierung von Wissen und Fähigkeiten, die früher nur einer privilegierten Elite zugänglich waren.
- Jeder Mensch wird Zugang zu einem persönlichen digitalen Assistenten haben – Aufgaben, für die früher teure Fachkräfte nötig waren, werden automatisiert.
- Jedes Kind erhält einen KI-Tutor – personalisierte Bildung für alle, nicht nur für Wohlhabende.
- Simultane Sprachübersetzung wird Kulturen in Echtzeit verbinden.
Leyden vergleicht diesen Umbruch mit der ersten Aufklärung: So wie Mikroskop und Teleskop einst unsere Sinne erweiterten, erweitert KI heute unser Denken.
„Wir verstärken jetzt unsere mentalen Kräfte, so wie mechanische Motoren einst unsere physischen Kräfte verstärkten.“
Bereits heute sehen wir Beweise für diesen Sprung: Das Protein-Faltungsproblem, jahrzehntelang ungelöst, wurde von KI binnen Tagen geknackt. Was bisher das exklusive Terrain von Experten war, wird jetzt universell zugänglich – mit ungeahntem Innovationspotenzial.
3. Wendepunkt Nr. 2: Saubere Energie – Technologie statt Rohstoff
Der zweite große Wandel betrifft unsere Energieversorgung. Der Schlüssel: Saubere Energie ist keine Ressource wie Kohle oder Öl – sie ist Technologie.
- Rohstoffe muss man ständig fördern, transportieren, verbrennen.
- Technologien wie Solarpaneele werden mit jedem Produktionsschub effizienter und billiger – dank des Lernkurveneffekts.
Die Fakten:
- Die Kosten für Solarenergie sind in 40 Jahren dramatisch gefallen – und fallen weiter.
- Solarkraftwerke sind heute schon günstiger als neue Kohlekraftwerke.
- Batterietechnologien (angetrieben durch die Entwicklung für E-Autos) folgen demselben Trend.
Das bedeutet: Wir steuern auf eine Welt zu, in der sauberer Strom im Überfluss vorhanden ist. Damit können wir ehemals undenkbare Probleme lösen, etwa Meerwasserentsalzung in großem Maßstab – und damit globale Wasserknappheit überwinden.
4. Wendepunkt Nr. 3: Die Biologische Revolution
Die dritte Revolution verlagert uns vom Industriezeitalter zur Bioökonomie. Statt inerte Materialien zu manipulieren, nutzen wir lebendige Systeme:
- Kultiviertes Fleisch aus Zellkulturen reduziert Umweltbelastung und Tierleid – bei höherer Effizienz.
- Biologisch abbaubare Materialien wie kompostierbares Plastik ersetzen petrochemische Produkte.
Zwei technologische Durchbrüche treiben diese Entwicklung:
- Genomsequenzierung wird schneller günstiger als die Rechenleistung nach Moore’s Law.
- CRISPR erlaubt präzise Gen-Editierung – kostengünstig und für breite Anwendungen zugänglich.
Das eröffnet eine völlig neue Dimension: Wir könnten Bäume mit Stahlfestigkeit designen, feuerresistente Wälder schaffen oder Mikroorganismen programmieren, die Treibstoffe erzeugen. Biologie wird zur Plattformtechnologie – mit enormem Potenzial für eine nachhaltige Zukunft.
Fazit: Vom Krisenbewusstsein zur Erneuerungskraft
Künstliche Intelligenz, saubere Energie und die biologische Revolution sind keine Zukunftsmusik – sie sind jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Im Lichte des 80-jährigen Zyklus sind sie die Hebel, mit denen wir die kommende Phase tiefgreifender Erneuerung gestalten können.
Doch diese Transformation ist mehr als technischer Fortschritt. Sie ist die Grundlage für eine neue Zivilisation – eine „Zivilisation des 21. Jahrhunderts“, wie Leyden sagt. Sie könnte einen nachhaltigen Kapitalismus, eine digitale Demokratie und ein spirituell erweitertes Menschenbild hervorbringen.

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