Parallele Ideologien zwischen „Russkij Mir“ und politischem Islam
In einer Welt zunehmender geopolitischer Spannungen und ideologischer Polarisierung fällt auf, dass bestimmte autoritäre Narrative, obwohl kulturell und religiös verschieden, strukturelle Gemeinsamkeiten aufweisen. Besonders deutlich wird dies im Vergleich zwischen dem Konzept der „Russkij Mir“ (der „Russischen Welt“) und dem politischen Islam in seinen islamistischen Ausformungen. Diese ideologischen Systeme mögen verschiedenen Zivilisationen entstammen, doch sie ähneln sich in Aufbau, Rhetorik und Zielsetzung auf frappierende Weise.
1. Transnationale Identität statt Staatsbürgerlichkeit Beide Ideologien ersetzen die moderne Idee der Staatsbürgerschaft durch eine übergeordnete kollektive Identität:
- Der „Russkij Mir“ beruft sich auf eine russisch-orthodoxe Kulturgemeinschaft, die über nationale Grenzen hinweg durch Sprache, Religion und Geschichte geeint sei und unter Moskaus Schutz gestellt werden müsse.
- Der politische Islam verfolgt das Ideal einer geeinten Umma, die sich nicht durch Nationalstaaten, sondern durch den gemeinsamen Glauben an die Scharia und die islamische Tradition definiert.
Diese Vorstellung ist identitätsstiftend und rechtfertigt imperialen Einfluss in Nachbarregionen – sei es in der Ukraine oder in säkularen, mehrheitlich muslimischen Gesellschaften.
2. Mythos einer verlorenen Ordnung Zentral ist der Glaube an eine einstige Größe, die durch äußere Einflüsse zerstört wurde:
- Im „Russkij Mir“ ist es die imperiale oder sowjetische Vergangenheit, die durch westliche Demütigung verloren ging und wiederhergestellt werden soll.
- Im politischen Islam wird ein idealisiertes Kalifat imaginiert, das durch westliche Kolonialisierung, Zionismus oder interne Dekadenz zerfallen sei.
Beide Ideologien nähren sich aus einem kollektiven Ressentiment, das gegenwärtige Gewalt als Wiederherstellung historischer Gerechtigkeit erscheinen lässt.
3. Antagonismus zum Westen als moralische Pflicht Der Westen – verkörpert durch Aufklärung, Liberalismus, Menschenrechte und Säkularität – wird in beiden Weltbildern zum Hauptfeind:
- Der „Russkij Mir“ betrachtet westliche Demokratie und LGBTQ-Rechte als Angriff auf die „geistige Souveränität“ Russlands.
- Der politische Islam sieht im Westen eine Quelle moralischer Korruption, die Muslime vom „rechten Weg“ abbringen wolle.
Dieser gemeinsame Feind erlaubt es, innenpolitische Repression zu rechtfertigen und äußere Expansion als Verteidigung darzustellen.
4. Sakralisierung von Herrschaft In beiden Systemen wird Politik religiös aufgeladen:
- In Russland wird der Präsident vom Patriarchen gesegnet, der Krieg in der Ukraine als „heiliger Kampf“ verklärt.
- Islamistische Bewegungen wie die Muslimbruderschaft oder der IS verbinden politische Macht mit religiöser Pflichterfüllung. Staat und Scharia sind untrennbar.
Somit wird Widerstand nicht nur als politisch, sondern als blasphemisch diffamiert.
5. Märtyrertum und Opferkult Der Kult um den gefallenen Kämpfer verbindet beide Systeme:
- Russische Propaganda ehrt Soldaten, die im „Kampf gegen den Westen“ sterben, als Helden einer heiligen Mission.
- Der politische Islam glorifiziert den Schahid (Märtyrer), der im Kampf gegen „Ungläubige“ stirbt, als gottgefällige Figur.
Dieser Opferkult erzeugt Identifikation und Mobilisierung – besonders unter jungen Männern ohne gesellschaftliche Perspektive.
6. Kontrolle von Information und Geschichte Beide Ideologien manipulieren Geschichte und Medien:
- Der „Russkij Mir“ behauptet, die Ukraine sei kein eigenständiger Staat, sondern Teil des russischen Erbes.
- Islamistische Narrative inszenieren die islamische Welt als durchgehend vom Westen unterdrückt und missverstanden.
Gegenaufklärung ist ein Mittel zur Herstellung einer eigenen Realitätsblase.
7. Technologische Modernität mit antimodernem Geist Trotz ihrer ideologischen Rückwärtsgewandtheit nutzen beide Bewegungen hochmoderne Mittel:
- Russische Propaganda operiert mit digitalen Deepfakes und globalen Social-Media-Kampagnen.
- Islamistische Gruppen rekrutieren über TikTok, Telegram oder hochprofessionelle Videoclips.
Beide sind nicht vormodern, sondern hochgradig sakrale Gegenmoderne: technikaffin, aber kulturkämpferisch.
Fazit: Meta-Ethik gegen sakrale Gegenmoderne Wer die liberal-demokratische Ordnung verteidigt, steht nicht auf Seiten irgendeiner westlichen „Propaganda“, sondern auf Seiten einer Meta-Ethik, die Pluralität, Gewaltfreiheit, individuelle Autonomie und rationale Diskurse schützt. In einer Welt, in der zunehmend sakrale, autoritäre Gegenmodelle auftreten – ob orthodox-imperial oder islamistisch-theokratisch –, ist es notwendig, Haltung zu zeigen.
Nicht, weil „der Westen immer recht hat“, sondern weil es in bestimmten Fragen keine Neutralität geben kann, wenn man die Werte einer offenen, integralen Gesellschaft ernst nimmt.
Wer sich für eine zukünftige SolarPunk-Kultur stark macht – eine Kultur technologischer Nachhaltigkeit, ethischer Innovation und spiritueller Offenheit – kann in den aktuellen Konflikten nur an der Seite der Ukraine und Israels stehen. Nicht weil diese Länder perfekt wären, sondern weil sie, bei aller Kritik, die Hoffnung auf Modernität, Pluralismus und Selbstbestimmung verkörpern. Es geht nicht um Loyalität zu Staaten, sondern um Treue zu Prinzipien.
Diese ideologischen Konflikte sind keine Nebenschauplätze – sie sind der Prüfstein für die Zukunft unserer globalen Zivilisation.
Schreibe einen Kommentar