Am Anfang war die Botschaft

Wie Kommunikation den Kosmos hervorbringt

Stellen Sie sich vor, Sie hören jemandem zu, der sagt:
„Dieser Satz ist falsch.“
Was tun Sie mit dieser Information? Sie versuchen sie zu verstehen – und geraten ins Schleudern. Wenn der Satz falsch ist, dann ist er wahr. Und wenn er wahr ist, dann ist er falsch. Willkommen im Land der Paradoxien.

Was zunächst wie ein sprachlicher Scherz wirkt, berührt in Wahrheit den Kern einer tiefen Einsicht: Paradoxien entstehen, wenn sich ein System auf sich selbst bezieht und zugleich seine eigene Aussagekraft verneint. Und solche Paradoxien sind nicht bloß kuriose Denksportaufgaben – sie sind die Geburtswehen der Wirklichkeit selbst.

Drei Elemente für Bedeutung

Kommunikation ist ein fundamentaler Prozess, der nicht nur zwischen Menschen geschieht. Sie ist strukturell viel älter als Sprache und Kultur. Um überhaupt von Kommunikation zu sprechen, braucht es drei Dinge:

  1. Eine Botschaft – also Information oder Bedeutung,
  2. einen Botschafter – also einen Träger dieser Information,
  3. einen Empfänger – der die Botschaft liest, interpretiert oder verarbeitet.

Soweit so einfach. Doch was passiert, wenn Botschafter, Botschaft und Empfänger eins sind – wenn ein System sich selbst eine Botschaft sendet, sich selbst interpretiert und zugleich hinterfragt? Dann entsteht eine Schleife. Und in dieser Schleife, so werden wir sehen, liegt das Geheimnis von Leben, Bewusstsein – ja vielleicht des Kosmos selbst.

Von Paradoxien zu Mustern

Viele berühmte Paradoxien basieren auf diesem Prinzip.

  • Der Kreter, der sagt: „Alle Kreter sind Lügner.“
  • Der Barbier, der nur jene rasiert, die sich nicht selbst rasieren.
  • Oder Gödels Satz, der sagt: „Diese Aussage ist in diesem System nicht beweisbar.“

In all diesen Fällen steht eine Aussage, ein System, ein Gedanke plötzlich im Spiegel – und beginnt sich selbst zu beobachten. Doch mit der Beobachtung kommt die Unsicherheit. Wahrheit und Falschheit, Tun und Lassen, Beweisbarkeit und Unerreichbarkeit verstricken sich in einer Schleife.

Doch genau darin liegt der entscheidende Punkt: Paradoxien sind nicht destruktiv, sie sind kreativ. Sie öffnen den Raum für neue Ordnungen, neue Ebenen, neue Perspektiven. Sie zwingen das System, sich weiterzuentwickeln – oder sogar sich selbst zu transzendieren.

Leben als sich selbst lesende Botschaft

Was hat das mit Biologie zu tun? Eine Menge.

Die DNA – jener legendäre Doppelstrang des Lebens – ist viel mehr als nur ein Molekül. Sie ist ein Text, ein Code, ein Informationsspeicher. Sie enthält Anweisungen zum Bau von Proteinen, zum Ablauf des Stoffwechsels, zur Regulation des Organismus. Und – das ist der springende Punkt – sie kodiert die Maschinen, die sie selbst ablesen und kopieren.

Der genetische Code ist also kein externer Befehl, sondern ein System, das sich selbst erhält, reproduziert und interpretiert. Mit anderen Worten: Die DNA ist eine Botschaft, die sich selbst liest. Sie ist Botschafter, Botschaft und Empfänger in einem. Eine Schleife.

Und diese Schleife ist nicht stabil, sie ist dynamisch. Mutationen, Fehlerkorrekturen, Rückkopplungen, epigenetische Schalter – all das sind Momente, in denen das System mit sich selbst in Dialog tritt, sich neu interpretiert, widerspricht und wieder versöhnt. Leben entsteht nicht trotz, sondern wegen dieser paradoxen Dynamik.

Kommunikation als Ursprung des Kosmos?

Gehen wir noch einen Schritt weiter.

Auch in der Quantenphysik, der vielleicht rätselhaftesten Wissenschaft unserer Zeit, begegnen wir einer Art kommunikativer Struktur. Ein Quantenobjekt scheint erst dann „wirklich“ zu sein, wenn es gemessen wird – also wenn eine Art Informationsaustausch stattfindet. Bis dahin schwebt es in einer unbestimmten Überlagerung aller Möglichkeiten. Wobei jede Interaktion des Kosmos mit dem Quantenobjekt als „Messung“ gelten kann.

Auch hier also: Bedeutung entsteht nicht allein aus dem Ding an sich, sondern aus dem Akt der Interpretation, des Bezugs, der Kommunikation. Die Realität selbst wird zu einem interaktiven, dialogischen Prozess, bei dem Information, Kontext und Beobachtung eine untrennbare Einheit bilden. Es gibt kein „ich“ ohne ein „du“. Alles existierende ist eine Kommunikation zwischen den Dingen und zwischen Innen und Außen.

Man könnte sagen: Der Kosmos ist nicht einfach „da“. Er spricht – und wird erst dadurch, dass er sich ausdrückt.

Bewusstsein als höchste Schleife

Und was ist mit uns?

Bewusstsein ist vielleicht die komplexeste Form von Kommunikation: ein System, das sich selbst beobachtet, über sich nachdenkt, sich in Frage stellt – und sich dadurch als „Ich“ erlebt. Unser Denken, unsere Identität, unsere Träume: Alles das ist in Schleifen strukturiert. Wir erzählen uns Geschichten über uns selbst, interpretieren unsere eigenen Gedanken, zweifeln an unseren Zweifeln.

Was als Paradox begann – ein System, das sich selbst erkennt – wird zur Grundlage von Freiheit, Kreativität und Sinn.

Fazit: Das Universum als Gespräch

Was also, wenn das Universum nicht aus Materie entstand, sondern aus Bedeutung?
Was, wenn die erste Bewegung des Seins kein Knall, sondern ein Selbstgespräch war – eine paradoxe Mitteilung, die sich selbst erzeugte, verneinte und dabei in Formen und Kräfte zerfiel?

Nicht Materie bildet den Ursprung von Bedeutung, sondern Bedeutung – emergierend aus paradoxen Selbstreferenzen – erschafft erst die Illusion von Materie, Identität und Leben.
Leben ist der Ausdruck einer sich selbst lesenden Botschaft, Bewusstsein die Emergenz eines Systems, das nicht nur kommuniziert, sondern die Kommunikation als Sein erlebt.

Dann wäre das Leben kein Zufall, sondern ein Echo dieses ursprünglichen Paradoxons. Und wir, als bewusste Wesen, wären nichts anderes als Antworten auf eine Frage, die sich das Universum selbst stellt.

Vielleicht ist also der tiefste Ursprung allen Seins nicht ein Ding, nicht ein Gesetz, nicht einmal ein Gott – sondern ein Dialog.
Ein Gespräch, das noch immer weitergeht.
Und dessen Fortsetzung wir sind.


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Kommentare

2 Antworten zu „Am Anfang war die Botschaft“

  1. Avatar von Tatyana von Leys

    …wieder einmal ein Text, der sehr zum Denken anregt. Obwohl ich auch tief im posthumanen Denken stecke, ergeben sich immer wieder neue Tore, durch die ich eintreten darf.
    Danke für diese Zusammenführung von ‚Sinn-Schleifen‘!

  2. […] Evolutionäre Idealismus liefert hier den philosophischen Unterbau, indem er postuliert, dass alle Holons – also ganzheitlichen Teile der Realität – einen innewohnenden Wert und eine Innenp…. Wenn selbst Atome und Moleküle nach EvId rudimentäre Gewohnheiten und Stabilitätsmuster zeigen, […]

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