Parallele Universen mit umgekehrtem Zeitpfeil?

Oder zyklischer Kosmos?

Die Frage nach der Struktur des Universums und dem Ursprung der Zeit ist eine der tiefgründigsten Herausforderungen der modernen Kosmologie. Zwei faszinierende Modelle greifen dieses Rätsel auf: die Theorie von parallelen Universen mit entgegengesetztem Zeitpfeil und das Konzept eines zyklischen Kosmos, der sich endlos zwischen Expansion und Kontraktion bewegt. Auf den ersten Blick scheinen diese beiden Ansätze grundlegend verschieden. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass ihre Unterschiede weniger in der physikalischen Realität liegen als in unserer subjektiven Interpretation der Zeit und des Übergangs zwischen Universen.


Das Modell der parallelen Universen mit umgekehrtem Zeitpfeil

Ein aktueller Vorschlag, der kürzlich in einem Artikel auf The Conversation (Oktober 2024) beschrieben wurde, präsentiert ein alternatives Modell zur Erklärung der kosmischen Expansion. Es geht davon aus, dass unser Universum nicht allein existiert, sondern ein paralleles Universum mit einem entgegengesetzten Zeitpfeil als „Spiegelbild“ existiert. Beide Universen teilen sich den Urknall als gemeinsamen Ursprung.

Dieser Ansatz versucht, die Probleme der kosmischen Inflation zu lösen, einer Theorie, die bislang zur Erklärung der Homogenität und Isotropie des Universums herangezogen wird. Die Inflation beschreibt eine extrem schnelle Ausdehnung des Universums in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall. Doch diese Theorie erfordert komplexe Annahmen und führt zu einem Multiversum-Szenario, das viele Physiker als problematisch ansehen. Das Modell der parallelen Universen bietet eine alternative Erklärung: Die beobachtete Homogenität des Universums könnte auf die Symmetrie zwischen zwei Universen mit entgegengesetzten Zeitpfeilen zurückzuführen sein.

Aus unserer Perspektive expandiert unser Universum vom Urknall weg, während das parallele Universum sich scheinbar auf den Urknall zubewegt. In diesem Kosmos würde also die Zeit rückwärts laufen, zumindest relativ zu unserer Wahrnehmung. Für Beobachter in diesem Universum wäre die Zeit jedoch ebenfalls „vorwärtsgerichtet“, da die Zunahme der Entropie für sie wie für uns den Zeitfluss definiert.

Dieses Modell zeichnet eine Symmetrie: Der Urknall ist der Punkt, an dem beide Universen entstehen, mit entgegengesetzten Zeitrichtungen, die sich niemals überschneiden. Diese Vorstellung ist faszinierend, führt aber zu einem entscheidenden Problem: Sie setzt voraus, dass „Zeit“ universenübergreifend definiert werden kann, was mit unserem Verständnis von Zeit als lokaler Größe innerhalb eines Universums nicht vereinbar ist.


Das zyklische Modell des Kosmos

Im Gegensatz dazu beschreibt das zyklische Modell ein einziges Universum, das in einer Abfolge von Expansion und Kontraktion existiert. Nach einer Phase der Expansion folgt ein „Big Crunch“, bei dem das Universum wieder in einen dichten Zustand kollabiert. Dieser Übergang leitet eine neue Expansion ein – einen neuen Urknall.

In diesem Modell gibt es keinen absoluten Anfang oder absolutes Ende. Der Urknall ist kein Schöpfungsmoment, sondern ein Übergangspunkt zwischen zwei Phasen. Der Zeitpfeil bleibt in jedem Zyklus gleich, da die Entropie in jedem Abschnitt zunimmt.


Die Illusion des parallelen Kosmos

Wenn wir die beiden Modelle vergleichen, fällt auf, dass die Vorstellung eines parallelen Kosmos mit rückläufigem Zeitpfeil eine Illusion sein könnte, die durch unsere subjektive Interpretation entsteht. Betrachten wir zwei aufeinanderfolgende Zyklen eines zyklischen Universums, könnten wir diese ebenfalls als zwei getrennte Universen mit entgegengesetzten Zeitpfeilen interpretieren:

  • Im ersten Zyklus expandiert das Universum vom Urknall weg, aber mit rückwärtsgerichtetem Zeitpfeil.
  • Im zweiten Zyklus beginnt ein neuer Abschnitt, der vom Big Crunch des vorherigen Zyklus ausgeht. Wenn wir den Übergangspunkt (den „Big Bounce“) ausblenden, könnte uns dieser neue Zyklus wie ein paralleles Universum erscheinen.

In Wirklichkeit gibt es jedoch keinen fundamentalen Unterschied zwischen den Zyklen. Der Zeitpfeil bleibt konstant „vorwärtsgerichtet“, und die Illusion eines rückläufigen Zeitpfeils entsteht nur, wenn wir den Beginn des vorherigen Zyklus und das Ende unseres Kosmos ausklammern, wodurch aus dem zyklischen Kosmos eine eingeschränkte Betrachtung zweier Universen wird, deren anderen Ränder, neben dem gemeinsamen Urknall wir aus unserem Blick verbannen.


Zeit und Kausalität – Relativität in der Interpretation

Die zentrale Erkenntnis ist, dass beide Modelle weniger physikalisch verschieden sind, als sie zunächst erscheinen. Der Unterschied liegt vielmehr in unsererInterpretation der Zeit:

  • Im Modell der parallelen Universen trennen wir den Urknall als absoluten Ursprung, wodurch zwei scheinbar unabhängige Universen mit entgegengesetzten Zeitpfeilen entstehen.
  • Im zyklischen Modell betrachten wir den Urknall als Übergang, wodurch die Kontinuität eines einzigen Universums erhalten bleibt.

Die Vorstellung von parallelen Universen mit rückläufigem Zeitpfeil ist somit ein gedankliches Konstrukt, das auf einer Fragmentierung der Zeitwahrnehmung beruht. Sobald wir die Kontinuität des Kosmos anerkennen, verschwindet die Notwendigkeit, parallele Universen anzunehmen. Stattdessen sehen wir eine zyklische Struktur, die in jedem Abschnitt dieselben physikalischen Gesetze und denselben Zeitpfeil bewahrt.


Schlussfolgerung

Der scheinbare Gegensatz zwischen den Theorien von parallelen Universen mit umgekehrtem Zeitpfeil und einem zyklischen Kosmos löst sich bei genauer Betrachtung auf. Beide Modelle beschreiben letztlich dieselbe Realität, wobei die Unterschiede in unserer Interpretation der Zeit und des Übergangs zwischen Universen liegen.

Was diese Überlegungen verdeutlichen, ist die Relativität unserer Perspektive: Zeit, wie wir sie verstehen, ist keine universale Größe, sondern ein Konzept, das innerhalb des jeweiligen Kosmos gilt. Indem wir unsere subjektiven Annahmen hinterfragen, können wir neue Verbindungen zwischen scheinbar widersprüchlichen Theorien erkennen – und uns so dem wahren Wesen des Universums ein Stück näher fühlen.


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